Amerigo: Die Geschichte eines historischen Irrtums
was vordem zu wenig getan wurde, um seine Tat zu rühmen, wird dank dem ewigen Heroisierungsbedürfnisse fast zu viel getan.
Aber nach dem uralten Gesetz alles Dramatischen und auch Melodramatischen braucht jede heroisierte Gestalt ihren Gegenspieler wie das Licht den Schatten, Gott den Teufel, wie Achilles Thersites und der tolle Träumer Don Quichotte den urgesund realistischen Sancho Pansa. Um das Genie zu zeigen, muß sein Gegensatz angeprangert werden, der irdische Widerstand, die niederen Kräfte des Unverstands, des Neids, des Verrats. Es werden also die Feinde des Columbus – Bobadilla, ein redlicher, gerechter, unbedeutender Beamter, der Kardinal Fonseca, ein tüchtiger, klarer Rechner – zu böswilligen Schurken geschwärzt. Aber der wahre Widersacher ist jetzt glücklich in Amerigo Vespucci gefunden, und gegen die Columbuslegende entsteht die Vespuccilegende. Da sitzt in Sevilla eine giftige Kröte, geschwollen von Neid, ein kleiner Kaufmann, der gerne als Gelehrter, als Forscher gelten möchte. Aber er ist zu feige, sich je auf ein Schiff zu wagen.Von seinem sicheren Fenster sieht er zähneknirschend zu, wie man den großen Columbus bei seiner Heimkehr bejubelt. Ihm den Ruhm stehlen! Den Ruhm für sich stehlen! Während man den edlen Admiral in Ketten heimschleppt, klaubt und skribelt er sich listig aus fremden Büchern Reisen zusammen. Und kaum ist Columbus begraben, kaum kann er sich nicht mehr wehren, so schickt diese Hyäne des Ruhms buhlerische Briefe und Berichte an alle Potentaten der Welt, er sei der erste, der eigentliche Weltentdecker, und läßt sie – vorsichtigerweise im Ausland – in lateinischer Sprache drucken. Er wirbt und bettelt bei ahnungslosen Gelehrten irgendwo am anderen Ende der Welt, daß sie den neuen Weltteil nach ihm Amerika nennen mögen. Er schleicht sich heran an den Erbfeind des Columbus, an seinen Bruder im Neid, den Bischof Fonseca, und listet ihm an, daß man ihn, der nichts versteht von Seefahrt, in seiner Schreibstube zum piloto mayor , zum Vorstand der Casa de Contratación ernenne, nur damit er die Hand auf die Landkarten legen könne. Damit hat er endlich – diese Dinge werden tatsächlich Vespucci zugeschrieben – die Möglichkeit zu dem großen Betrug; als piloto mayor , der die Landkarten zeichnen läßt, kann er unkontrolliert veranlassen, daß überall Amerika, Amerika, Amerika, sein verruchter Name, als Bezeichnung des neuen Landes eingetragen wird in alle Karten und Globen. So wird der Tote, den man zeit seines Lebens in Ketten schlug, noch einmal bestohlen und betrogen von diesem schurkischenGenie des Betrugs; nicht sein Name, sondern der dieses Diebes schmückt jetzt den neuen Weltteil.
Das ist das Bild des Vespucci im siebzehnten Jahrhundert: ein Ehrabschneider, ein Fälscher, ein Lügner. Aus dem Adler, der mit kühnem Blick die Welt überschaute, ist plötzlich ein widrig wühlender Maulwurf geworden, ein Leichenschänder und Dieb. Es ist ein ungerechtes Bild, aber es frißt sich ein in die Zeit. Für Jahrzehnte und Jahrhunderte erstickt Vespuccis Name im Schmutz; Bayle und Voltaire geben ihm jeder einen Fußtritt ins Grab, und jedes Schulbuch erzählt schon den Kindern die Geschichte seiner niederträchtigen Ruhmerschleichung. Und selbst ein so weiser und bedächtiger Mann wie Ralph Waldo Emerson wird noch drei Jahrhunderte später (1856) unter dem Bann dieser Legende schreiben: »Strange that broad America must wear the name of a thief. Amerigo Vespucci the pickledealer at Seville, whose highest naval rank was boatswain's mate in an expedition that never sailed, managed in this lying world to supplant Columbus and baptize half the earth with his own dishonest name.«
Die Dokumente mengen sich ein
Im siebzehnten Jahrhundert ist Amerigo Vespucci ein erledigter Mann. Der Streit um seinen Namen und um seine Tat oder Untat scheint endgültig erledigt. Er ist entthront, des Betrugs überführt und – trüge nicht Amerika seinen Namen – zu schmachvoller Vergessenheit bestimmt. Aber es beginnt ein anderes Jahrhundert, das nicht mehr bloßem Gerede von Zeitgenossen und überlieferten Gerüchten Glauben schenken will. Geschichtsschreibung wird allmählich aus einem bloßen Chronistentum eine kritische Wissenschaft, welche alle Tatsachen zu überprüfen, alle Zeugnisse zu revidieren sich zur Aufgabe setzt, aus allen Archiven werden die Dokumente geholt, untersucht und verglichen, und so ist es unvermeidlich, daß auch der alte und scheinbar längst
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