Amerigo: Die Geschichte eines historischen Irrtums
abgesehen von mehrmaligen Reisen nach Spanien, sein ganzes Leben bis zu seinem dreiundsiebzigsten Jahre in dem neuen Weltteil verbracht; niemand war also befugter und berufener, ein sachgemäßes und gültiges Urteil über Geschehnisse in der Epoche der Entdeckungen abzugeben.
Auf einer seiner Reisen, von den »Nuevas Indias« nach Spanien zurückkehrend, muß nun Las Casas auf eine jener Landkarten oder jene ausländischen Bücher gestoßen sein, in denen das neue Land mit dem Namen »Amerika« verzeichnet war. Und wahrscheinlich ebenso erstaunt wie wir, hatte er gefragt: »Warum Amerika?« Die Antwort, weil Amerigo Vespucci es entdeckt habe, mußte natürlich seinen Argwohn und seinen Zorn erregen, denn wenn irgendjemand, so war er im Bilde. Sein eigener Vater hatte Columbus auf der zweiten Fahrt persönlich begleitet, er selbst konnte also bezeugen, daß Columbus nach seinen Worten »der erste gewesen, der die Pforten jenes Ozeans geöffnet, der seit so vielen Jahrhunderten verschlossen gewesen«. Wieso konnte also Vespucci sich rühmen oder gerühmt werden, derEntdecker dieser neuen Welt zu sein? Anscheinend stieß er nun auf das damals übliche Argument, Columbus habe nur die Inseln vor Amerika, die Antillen, entdeckt, Vespucci aber das eigentliche Festland, und dürfe deshalb mit Recht als Entdecker des Kontinents angesprochen werden.
Nun wird Las Casas, der sonst so milde Mann, grimmig. Wenn Vespucci dies behaupte, sei er ein Lügner. Kein anderer als der Admiral habe im Jahre 1498 auf seiner zweiten Reise das Festland als erster bei Parias betreten: dies sei überdies bezeugt durch den feierlichen Eid Alonsos de Hojeda im Prozeß des Fiskus gegen die Erben des Columbus im Jahre 1516. Aber auch sonst habe kein einziger der über hundert Zeugen jenes Prozesses diese Tatsache zu bestreiten gewagt; nach Fug und Recht müßte dies Land »Columba« heißen. Wieso könne Vespucci also »die Ehre und den Ruhm usurpieren, der dem Adelantado gebühre, und die Leistung sich allein zuschreiben«? Wo und wann und mit welcher Expedition sei er vor dem Admiral auf dem Festland Amerikas gewesen?
Las Casas untersucht nun den Bericht des Vespucci, wie er in der › Cosmographiae Introductio ‹ gedruckt ist, um diesen angeblichen Prioritätsanspruch Vespuccis anzufechten. Und nun kommt eine neue groteske Wendung in dieser Komödie der Irrungen, die dem schon reichlich verfitzten Knäuel einen neuen Stoß in eine ganz falsche Richtung gibt. In der italienischen Originalausgabe, in der Vespuccis erste Reise von 1497 geschildert ist, heißt es, er sei an einem Ort namens»Lariab« gelandet. Infolge eines Druckfehlers oder einer eigenwilligen Verbesserung setzt nun die lateinische Ausgabe von St-Dié statt dieses »Lanab« den Ort »Parias« ein, und das gibt den Anschein, Vespucci hätte selbst behauptet, schon 1497 in Parias und somit ein Jahr vor Columbus auf dem Festland gewesen zu sein. Kein Zweifel also für Las Casas, daß Vespucci ein Fälscher ist, der nach dem Tode des Admirals die gute Gelegenheit benützt hat, sich »in ausländischen Büchern« (denn in Spanien hätte man ihm zu genau auf die Finger gepaßt) als den Entdecker des neuen Kontinents aufzuspielen. Und nun weist Las Casas nach, daß in Wahrheit Vespucci 1499 und nicht 1497 nach Amerika gefahren sei, aber wohlweislich den Namen Hojedas verschwiegen habe. »Was Amerigo geschrieben hat«, eifert der redliche Mann, »um sich selbst berühmt zu machen, indem er stillschweigend die Entdeckung des Festlands usurpierte«, sei in böser Absicht gewesen und Vespucci somit ein Betrüger.
Es ist eigentlich nur ein Druckfehler der lateinischen Ausgabe, die Einsetzung des Worts »Parias« statt »Lariab« der Originalausgabe, der die Erregung Las Casas' über den angeblich beabsichtigten Betrug verursacht. Jedoch ohne es zu wollen, hat Las Casas an einen heiklen Punkt gerührt, nämlich, daß in allen Briefen und Berichten des Vespucci eine merkwürdige Dunkelheit über die Absichten und tatsächlich erreichten Ziele seiner Reisen herrscht. Vespucci nennt niemals klar dieNamen der Befehlshaber der Flotte, seine Daten sind in den verschiedenen Ausgaben verschieden, seine Längenbestimmungen unrichtig; von dem Augenblicke an, da man begonnen hat, die historischen Grundlagen seiner Reisen festzustellen, muß der Verdacht aufkommen, daß aus irgendwelchen Gründen – mit denen wir uns später zu befassen haben werden – der einfache, klare Tatbestand hier
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