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Amerigo: Die Geschichte eines historischen Irrtums

Amerigo: Die Geschichte eines historischen Irrtums

Titel: Amerigo: Die Geschichte eines historischen Irrtums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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Vespucci mit Stolz behaupten darf, sie hätte den vierten Teil der Welt durchmessen, bringt dieser eine unbekannte Mann ungeheuren Gewinn für die geographische Wissenschaft: Vespucci bringt Europa die Erkenntnis, daß dieses neuaufgefundene Land nicht Indien ist und keine Insel, sondern ein » mundus novus «, ein neuer Kontinent, eine neue Welt.
    Auch die nächste Reise, die Vespucci abermals im Auftrag des Königs von Portugal zum gleichen Zwecke unternimmt, um den Ostweg nach Indien zu finden und also die Tat zu versuchen, deren Gelingen erst einem Späteren, die Magalhães vorbehalten sein wird, gelangt nicht ans Ziel. Zwar steuert die Flotte diesmal noch tiefer hinab und scheint weit über den Rio de la Plata hinausgelangt zu sein, aber sie muß zurück, von Stürmen vertrieben. Abermals landet, nun schon in seinem vierundfünfzigsten Jahr, Vespucci in Lissabon als armer, enttäuschter und – wie er glaubt völlig unberühmter Mann, als einer der Unzähligen, die ihr Glück im Neuen Indien gesucht und es nicht gefunden haben.
    Aber inzwischen hat sich etwas ereignet, was Vespucci unter jenen anderen Sternen und auf der anderen Hemisphäre des Erdballs nicht ahnen und erträumen konnte: er hat, er, der kleine, anonyme, arme Pilot, die ganze gelehrte Welt Europas in Aufregung versetzt. Brav und getreulich hatte er jedesmal, wenn er von einer Reise heimkehrte,seinem früheren Brotgeber und persönlichen Freund Lorenzo di Medici in Briefen Bericht erstattet über das, was er auf seinen Reisen gesehen. Er hatte außerdem Tagebücher geführt, die er dem König von Portugal einhändigte, und die ebenso wie die Briefe als durchaus private Dokumente nur zur politischen oder geschäftlichen Information bestimmt waren. Nie aber war ihm der Gedanke gekommen, sich als Gelehrter, als Schriftsteller aufzuspielen und diese Privatbriefe schon als literarisches oder gar als gelehrtes Produkt zu betrachten. Ausdrücklich sagt er, daß er alles, was er schreibe, » di tanto mal sapore « fände, daß er sich nicht entschließen könne, es in dieser vorläufigen Form herauszugeben, und wenn er einmal vom Plan eines Buches spricht, so fügt er gleich bei, daß er es nur »mit Hilfe gelehrter Männer« verfassen wolle. Nur, wenn er einmal zur Ruhe gekommen sein werde, » quando sarò de reposo «, würde er versuchen, mit Hilfe gelehrter Männer ein Buch über seine Reisen zu verfassen, um dann nach seinem Tode ein bißchen Ruhm, » qualche fama «, zu erlangen. Aber ohne daß er es weiß und gewiß ohne daß er es beabsichtigt, ist er gleichsam hinterrücks in jenen Monaten auf fremden Meeren zu dem Nimbus des gelehrtesten Geographen der Zeit und eines großen Schriftstellers gelangt. Unter dem Titel › Mundus Novus ‹ ist in einer, wahrscheinlich sehr frei redigierten und auf Gelehrsamkeit stilisierten Form jener Brief, den er handschriftlich über die dritte Reise an Lorenzo di Medici gerichtet, ins Lateinische übersetztworden und hat, kaum im Druck erschienen, ungeheure Sensation erregt. In allen Städten und Häfen weiß man nun, seit diese vier gedruckten Blätter in die Welt geflattert sind, daß diese neuentdeckten Länder nicht Indien sind, wie Columbus vermeinte, sondern eine neue Welt, und es ist Alberigus Vespuccius, der als erster diese wunderbare Wahrheit verkündet. Aber derselbe Mann, der ganz Europa als vielwissender Gelehrter gilt und als der kühnste aller Seefahrer, weiß nichts von seinem Ruhm und bemüht sich ganz simpel, endlich einmal eine Stellung zu finden, die ihm verstattet, ein bescheidenes, stilles Leben zu fristen. Als älterer Mann hat er sich verheiratet und ist endgültig müde der Geschäfte, der Abenteuer, der Reisen. Endlich, im siebenundfünfzigsten Jahr seines Lebens, erfüllt sich sein Wunsch. Er erlangt, was er zeitlebens ersehnt: eine kleine, eine ruhige, eine friedlich-bürgerliche Existenz als Chefpilot der Casa de Contratación mit erst fünfzigtausend und später fünfundsiebzigtausend Maravedís Gehalt. Seitdem ist der neue Ptolemäus in Sevilla ein Beamter unter vielen anderen angesehenen Beamten des Königs, nicht minder und nicht mehr.
    Hat Vespucci in diesen letzten Jahren seines Lebens erfahren, wieviel Ruhm sich unterdessen aus Mißverständnissen und Irrtümern um seinen Namen weiter gesponnen? Hat er jemals geahnt, daß man das neue Land jenseits des Ozeans nach seinem Vornamen benennen will? Hat er gekämpft gegen diesen ungerechtfertigten Ruhm, hat er ihnbelächelt, oder

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