Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Amerika

Amerika

Titel: Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
Vom Netzwerk:
»Es ist nichts, es ist nichts!«, als ob man einen Polizeimann wie eine Fliege verscheuchen könnte. Die Kinder, welche den Polizeimann beobachtet hatten, wurden nun durch sein Stillstehen auch auf Karl und den Chauffeur aufmerksam und liefen im Trab herbei.
    Im Tor gegenüber stand eine alte Frau und sah starr hinüber.
    »Roßmann!« rief da eine Stimme aus der Höhe. Es war
    Delamarche, der das vom Balkon des letzten Stockwerks rief. Er selbst war nur schon recht undeutlich gegen den weißlich blauen Himmel zu sehen, hatte offenbar einen Schlafrock an und
    beobachtete mit einem Operngucker die Straße. Neben ihm war ein roter Sonnenschirm aufgespannt, unter dem eine Frau zu sitzen schien. »Halloh!« rief er mit größter Anstrengung, um sich verständlich zu machen, »ist Robinson auch da?«
    »Ja«, antwortete Karl, von einem zweiten, viel lauteren »Ja«
    Robinsons aus dem Wagen kräftig unterstützt.
    »Halloh!« rief es zurück, »ich komme gleich!«
    Robinson beugte sich aus dem Wagen.
    »Das ist ein Mann«, sagte er, und dieses Lob Delamarches
    war an Karl gerichtet, an den Chauffeur, an den Polizeimann und an jeden, der es hören wollte. Oben auf dem Balkon, den man aus Zerstreutheit noch ansah, obwohl ihn Delamarche schon verlassen hatte, erhob sich nun unter dem Sonnenschirm
    tatsächlich eine starke Frau in rotem, taillenlosem Kleid, nahm den Operngucker von der Brüstung und sah durch ihn auf die Leute hinunter, die nur allmählich die Blicke von ihr wandten.
    Karl sah in Erwartung Delamarches in das Haustor und weiterhin in den Hof, den eine fast ununterbrochene Reihe von
    Geschäftsdienern durchquerte, von denen jeder eine kleine, aber offenbar sehr schwere Kiste auf der Achsel trug. Der Chauffeur war zu seinem Wagen getreten und putzte, um die Zeit
    auszunützen, mit einem Fetzen die Wagenlaternen. Robinson befühlte seine Gliedmaßen, schien erstaunt über die geringen Schmerzen zu sein, die er trotz größter Aufmerksamkeit fühlen konnte, und begann vorsichtig, mit tief geneigtem Gesicht, einen der dicken Verbände am Bein zu lösen. Der Polizeimann hielt sein schwarzes Stöckchen quer vor sich und wartete still, mit der großen Geduld, die Polizeileute haben müssen, ob sie nun im gewöhnlichen Dienst oder auf der Lauer sind. Der Bursche mit der zerfressenen Nase setzte sich auf einen Torstein und
    streckte die Beine von sich. Die Kinder näherten sich Karl allmählich mit kleinen Schritten, denn dieser schien ihnen, obwohl er sie nicht beachtete, wegen seiner blauen Hemdärmel der wichtigste von allen zu sein.
    An der Länge der Zeit, die bis zur Ankunft Delamarches
    verging, konnte man die große Höhe dieses Hauses ermessen.
    Und Delamarche kam sogar sehr eilig, mit nur flüchtig
    zugezogenem Schlafrock.
    »Also, da seid ihr!« rief er erfreut und streng zugleich. Bei seinen großen Schritten enthüllte sich stets für einen Augenblick seine farbige Unterkleidung. Karl begriff nicht ganz, warum Delamarche hier, in der Stadt, in der riesigen Mietskaserne, auf der offenen Straße, so bequem angezogen herumging, als sei er in seiner Privatvilla. Ebenso wie Robinson hatte auch Delamarche sich sehr verändert. Sein dunkles, glatt rasiertes, peinlich reines, von roh ausgearbeiteten Muskeln gebildetes Gesicht sah stolz und respekteinflößend aus. Der grelle Schein seiner jetzt immer etwas zusammengezogenen Augen überraschte. Sein violetter Schlafrock war zwar alt, fleckig und für ihn zu groß, aber aus diesem häßlichen Kleidungsstück bauschte sich oben eine
    mächtige, dunkle Krawatte aus schwerer Seide.
    »Nun?« fragte er alle insgesamt. Der Polizeimann trat ein wenig näher und lehnte sich an den Motorkasten des
    Automobils. Karl gab eine kleine Erklärung.
    »Robinson ist ein wenig marod, aber wenn er sich Mühe gibt, wird er schon die Treppen hinaufgehen können; der Chauffeur hier will noch eine Nachzahlung zum Fahrgeld, das ich schon bezahlt habe. Und jetzt gehe ich. Guten Tag.«
    »Du gehst nicht«, sagte Delamarche.
    »Ich habe es ihm auch schon gesagt«, meldete sich Robinson aus dem Wagen.
    »Ich gehe doch«, sagte Karl und machte ein paar Schritte.
    Aber Delamarche war schon hinter ihm und schob ihn mit Gewalt zurück.
    »Ich sage, du bleibst!« rief er.
    »Aber laßt mich doch«, sagte Karl und machte sich bereit, wenn es nötig sein sollte, mit den Fäusten sich die Freiheit zu verschaffen, so wenig Aussicht auf Erfolg gegenüber einem Mann wie Delamarche auch war. Aber da stand

Weitere Kostenlose Bücher