Amnion 3: Ein dunkler, hungriger Gott erwacht
lang aus, bis sie in den Schultern an den anderen Tischen Verspannungen erkannte; bis sie an der Gekünsteltheit des Tonfalls bemerkte, wieviel Mühe es die Raumfahrer kostete, ihrem Umfeld vorzuspiegeln, daß sie nicht lauschten. Dann hörte sie einfach auf. Während sie da in dem Lokal hockte, Sibs feuchte, sorgenvolle Augen auf sich gerichtet, ohne daß sie eine anderweitige Zuflucht gewußt hätte, gelangte sie an den Schlußpunkt dessen, was sie für Nick zu tun bereit war; hätte sich jetzt ein Crewmitglied der Sturmvogel an ihren Tisch gewagt, um nach zusätzlichen Informationen zu fragen, vielleicht hätte sie schlichtweg die Wahrheit hinausgeblafft.
Sie achtete nicht auf die Observationsinstallationen des Lokals. Sie hatte, was sie anbetraf, nichts mehr zu verbergen. Und vielleicht hatten die Geräte keine ausreichende Leistungsfähigkeit, um ihre Stimme aufzunehmen.
»Er hat meinen Bruder an Bord«, sagte sie, nur weil ihr inwendiger Druck es so verlangte, noch einmal zu Sib Mackern.
Verlegen suchte Sib nach einer Antwort. »Ich wußte nicht, daß Lumpi dein Bruder ist«, wiederholte er einen Moment später.
Mikka riß sich mit aller Gewalt zusammen, um nicht laut aufzustöhnen. »Aber Nick weiß es«, stellte sie mit halblauter Stimme klar.
Mackerns Augen waren so beredt wie bei einem Kind: sie offenbarten jede Nuance seiner Furcht, seiner Verunsicherung. Schweiß färbte sein helles Oberlippenbärtchen dunkel, bis er wie ein Rußstreifen aussah. Wohl um sich abzureagieren, drehte er fortwährend das Glas zwischen den Handgelenken. Doch die Fiebrigkeit seiner Verstörung war zu stark für schlichte Abhilfe; zudem war das Eis im Glas schon größtenteils geschmolzen.
Nach einer Weile verließen ein, zwei der Raumfahrer, die höchstwahrscheinlich zur Sturmvogel- Crew zählten, das Kassaforter Lustschloß. Der Rest wechselte hinüber an andere, entferntere Tische.
Sib formulierte seine Frage um. »Warum läßt Nick uns das machen?«
Mikka mochte nicht zur Antwort geben: Weil er uns loswerden will. Nicht hier; nicht jetzt; nicht während Lumpi noch in Gefahr schwebte. »Um der Sturmvogel Ärger zu verursachen«, murmelte sie statt dessen. »Um Sorus Chatelaine in die Scheiße zu reiten. Es hängt überhaupt nicht mit dem Kassierer zusammen. Oder den Amnion. Ihnen zu schaden, ist bloß Nebensache. Hinter ihr ist er her. Sie ist die Frau, die ihm die Schnauze zerschnippelt hat. Und es wird wohl klappen.«
Der Abscheu drängte ein Knurren über ihre Lippen. »Gerüchte über ’n Immunitätsserum an ’m Ort wie hier, du guter Gott! Der Kassierer dürfte durchdrehen. Und den Amnion springt auch der Draht aus der Mütze, wenn sie davon erfahren. Man nähm’s uns weniger übel, würden wir hier flaschenweise konzentrierte Flußsäure um uns spritzen. Täten wir, was er will, ich meine, liefen wir hier umher und erzählten das Gerücht überall… Liebes Herrgöttchen, der Kassierer ließe uns an den Ohren aufhängen, bevor wir das halbe Vergnügungsviertel abgelatscht hätten.«
Sämtliche Furchtsamkeit und Unsicherheit Sibs offenbarten sich, als er sie anstarrte. »Sitzen wir deshalb noch hier?«
»Ja!« maulte Mikka ihn an. »Nein«, sagte sie sofort. »Ich weiß es selbst nicht. Ich kann einfach nicht weitermachen. Er ist mir inzwischen einfach zu verhaßt. Er hält…« – sie sprach es zum drittenmal aus – »meinen Bruder fest.«
Der Datensysteme- und Schadensanalyse-Hauptoperator wirkte, als ob er seinen Part des Rituals, in dem es für ihn keine andere Reaktion als »Ich wußte nicht, daß er dein Bruder ist« zu geben schien, neu durchdächte.
Bitterböse musterte Mikka ihn, obwohl ein Großteil ihres Zorns ihr selbst galt. »Nick weiß es«, betonte sie noch einmal, als wollte sie nichts auslassen. Sie hatte Kopfschmerzen, aber sich im Laufe des Lebens daran gewöhnt, allem gegenüber kalt zu bleiben, was ihr Schmerzen bereitete. »Lumpis richtiger Name«, fügte sie hinzu, »ist Ciro.«
Mit so steifen Unterarmen, als hätte er sich zum Suizid entschlossen, hielte er eine Schußwaffe in den Händen, hob Sib das Glas an den Mund und trank.
Mikka rührte ihren Drink erst an, als sie unvermutet Vector Shaheed das Lokal betreten sah. Da leerte sie das Glas spontan mit einem einzigen, langen Zug – denn mit Vector kam Lumpi herein.
Das Getränk enthielt zuwenig Alkohol, um ihre Aufwallung der Erleichterung oder das Gefühl des Ausgestoßenseins zu dämpfen. Sie konnte nicht verhindern, daß
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