Amnion 3: Ein dunkler, hungriger Gott erwacht
seinen Mangel an Disziplin mißbilligte.
Die Technik-Konsole war natürlich leer. Auch die Konsole der Daten- und Schadensanalyse war unbesetzt. Morn war verloren, Sib Mackern fort, und Alba Permute war und blieb auf diesem Gebiet ein hoffnungsloser Fall. Liete hatte diese Funktionen auf die Kommandokonsole umgeschaltet und versah sie selbst.
»Ich bin nicht hier, um Fragen zu beantworten, also stellt mir keine«, erklärte sie, sobald die Brückencrew ihre Plätze eingenommen hatte. Ihre Stimme klang ruhig, so wie immer. Aber Liete spürte darin etwas: den Mistral… oder den schwarzen Wind. Dennoch wußte sie, daß sie mit Gehorsam rechnen konnte.
»Ich bin aus dem gleichen Grund wie ihr hier, nämlich um Nicks Anweisungen auszuführen. Er hat mir Befehle erteilt. Ich gebe sie euch weiter. Wahrscheinlich möchtet ihr zu gerne wissen, was eigentlich los ist. Ich wüßte es auch gern. Aber Bescheid zu wissen, ist nicht unbedingt nötig. Solange Nick lebt, wird er das Schiff nicht im Stich lassen. Das heißt, er läßt uns nicht im Stich. Das beste Mittel, um am Leben zu bleiben, ist das Befolgen seiner Befehle. Wenn von euch jemand glaubt, er sei besser qualifiziert« – spöttisch betonte sie das Wort –, »um uns Befehle zu geben und am Leben zu halten, hat er meine Erlaubnis, von Bord zu gehen. Er kann sich Mikka anschließen. Oder im Vergnügungsviertel untertauchen, bis alles vorbei ist. Aber wer nicht so von sich denkt, hat er zu tun, was ich sage, ohne uns mit irgendwelchen Fragen zu belästigen. Wenn wir gleich den Dienst aufnehmen, werde ich auf gar keinen Fall etwas anderes dulden.«
Unerschrocken festen Blicks schaute sie sich auf der Brücke um.
Carmel zuckte die Achseln. Lind nickte. Beide gehörten Nicks Besatzung schon zu lang an, um nun auf einmal an seiner Tüchtigkeit zu zweifeln. Malda fügte sich aufgrund eigener Erwägungen; allerdings aus Beweggründen, vermutete Liete, die sie und die Waffensysteme-Hauptoperatorin gemeinsam hatten.
Pastille dagegen grinste wie ein Wiesel. »Ist es statthaft, zu denken, während wir arbeiten?« fragte er hämisch grinsend. »Ich finde, es könnte bei der Arbeit ganz nützlich sein, wenn wir wenigstens denken dürfen.«
Sein Geschwätz verdiente keine Antwort, darum gab Liete ihm keine. Statt dessen musterte sie ihn, bis er den Kopf einzog und nickte.
»Also alles klar.« Sie holte tief Luft, hielt sie für einen Moment an und ließ sie erst danach lautlos aus der Brust entweichen. »Ihr bleibt in Gefechtsbereitschaft, bis ich etwas anderes anordne. Wir fangen an, wenn ich’s euch sage.«
Der Chronometer an ihrer Kommandokonsole maß unablässig die Sekunden und Minuten. Niemand auf der Brücke sprach ein Wort. Pastille zappelte nervös in seinem G-Andrucksessel herum. Aber alle übrigen Mitglieder der Brückencrew saßen still.
Indem sie die Unsicherheit und das Schweigen rings um sie völlig ignorierte, wartete Liete ab, bis der Zeitpunkt, den Nick für seine Rückkehr genannt hatte, kam und verstrich. Dann war es soweit.
Während der schwarze Wind ihr drohendes Verderben ins Ohr wisperte, befahl Liete der Brückencrew eine so gründliche Überprüfung der Bordsysteme, als stünde ein Start in den interstellaren Raum bevor.
Gleichzeitig wies sie Lind an, in der Kommunikation permanent auf etwaige Mitteilungen oder Nachrichtenverkehr Nicks, des Kassierers, der Amnion oder der Posaune zu achten. Und Carmel mußte das Scanning vollständig auf die Sturmvogel konzentrieren. Falls die Sturmvogel irgendwelche Anzeichen eines geplanten Starts zeigte, wollte Liete es sofort erfahren.
Nachdem die Checkliste der Bordsysteme komplett durchgegangen worden war, machte sich Liete so verstohlen, wie es überhaupt nur erledigt werden konnte, ans Hochfahren des Energiepegels. Um den Moment, in dem Kassaforts Leitzentrale der veränderte Systemstatus des Raumschiffs auffiel und sie sich erneut deswegen an die Steuerbrücke wandte, so lange wie möglich hinauszuschieben, wies sie Malda an, zur Energetisierung der Waffen Stationsstrom zu benutzen. Und Pastille hatte dieselbe Energiequelle anzuzapfen, um die Triebwerke auf einen Kaltstart vorzubereiten, damit keine Emissionen des Pulsator-Antriebs die heimlich abgewickelten Vorgänge verrieten.
Indem Liete sich aus ihr selbst unersichtlichen Gründen von dem anhaltenden schwarzen Wind in eine ihr unbekannte Richtung treiben ließ, deaktivierte sie mit vollem Vorsatz die Sicherheitsschaltungen der
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