Amnion 3: Ein dunkler, hungriger Gott erwacht
ihr Tränen in die Augen quollen, während Vector und Lumpi sich ihrem Tisch näherten.
»Da soll ihn doch der Satan holen«, raunte sie mit zittriger Stimme Sib zu. »Die beiden will er doch wahrhaftig auch vom Hals haben.«
Lumpi kapierte anscheinend überhaupt nichts. Sein junges Gesicht spiegelte gleichfalls eine Art von Erleichterung wider, auch Konfusion und eine gewisse Ratlosigkeit; aber keine Spur irgendeines Bewußtseins, getäuscht worden zu sein. Die Ungeschlachtheit seiner schlaksigen Gliedmaßen – er hatte noch immer nicht das Wachstum eingestellt – machte ihn in Mikkas Augen ebenso hilflos wie liebenswert; er war das einzig Wertvolle, das sie noch hatte.
Vector hingegen verstand alles; sein klarer, blauer Blick erlaubte daran keine Zweifel. Vielschichtige Erkenntnisse verzerrten sein Lächeln, als er am Tisch anhielt. Er bemerkte Mikkas Tränen, schwieg jedoch dazu. »Mikka«, rief er freundlich, »Sib…! Was für ’ne Überraschung.«
»Ach was«, knirschte Mikka durch die Zähne. »Für so was haben wir keine Zeit.« Sie rang um Fassung. »Setzt euch, ihr zwei«, ordnete sie an. »Erzählt mir, wie ihr uns gefunden habt.«
Vector drehte sich um und winkte der Barkellnerin. Über mehrere Tisch hinweg bestellte er Kaffee für sich und Pseudobier für Lumpi.
Als der Bordtechniker sich setzte, hatte Lumpi schon neben Mikka einen Stuhl mit Beschlag belegt und zu plappern angefangen. »Nick hat uns den Befehl erteilt, den Werft-Werkmeister aufzusuchen und mit ihm zu reden. Aber wir sind nicht hin.«
Mikka bezähmte den Wunsch, ihn in die Arme zu schließen. Das war mit Sicherheit nicht das, was er jetzt wollte, und außerdem war sie sich keineswegs sicher, ob es im Moment das richtige wäre. In ihrem Zustand der Furcht und Wut hatte sie vergessen, daß ihr Bruder Nick noch immer als Helden anhimmelte.
»Er hat uns damit beauftragt, in der Werft die Vorbereitungen für die Reparatur der Käptens Liebchen zu veranlassen«, erklärte Lumpi eifrig. »So lautete Nicks Befehl.« Aber zumindest dachte er trotz seiner Aufgeregtheit daran, leise genug zu sprechen. »Er hat sich was überlegt, wie er uns retten und die Reparaturen durchführen lassen kann. Er bügelt alles aus. Wir sollten nachsehen, ob die Werft die passenden Ersatzteile auf Lager hat. Aber wir sind nicht hin zur Werft.«
Er warf dem Bordtechniker einen unverhohlen vorwurfsvollen Blick zu. »Vector sagt, darum ging’s gar nicht.« Seine Stimme sank zu einem Flüstern der Bestürzung herab. »Wir mißachten einen ausdrücklichen, unmißverständlichen Befehl, Mikka.«
Mikka machte eine beschwichtigende Geste. »Laß ihm mal ’n Momentchen lang Zeit.« Zu gerne hätte sie ihren Bruder getröstet; sie brauchte es, ihm Trost zu spenden, dringlicher als er selbst. »Er wird’s schon noch begründen. Aber als erstes möchte ich erfahren, wie ihr uns aufgespürt habt.«
Vector probierte den Kaffee und verzog das Gesicht in übertriebenem Abscheu. »Wo ich herkomme«, sagte er, »gilt es als Schwerverbrechen, dermaßen miserablen Kaffee aufzubrühen. Es war gar nicht so schwierig.« Ohne Überleitung gab er Mikka Auskunft. »Ich hab mich an ’m Computerterminal der Rezeption nach Zimmern erkundigt. Das Programm hat routinemäßig den Kredit der Käptens Liebchen gecheckt. Ich habe wegen des niedrigen Gesamtstands den Empörten gespielt« – er schenkte Mikka ein Lächeln – »und eine Übersicht der letzten Ausgaben verlangt. Da habe ich vom Terminal erfahren, daß ihr hier auf Schiffskosten Getränke ordert.« Er riß die Augen auf. »Offenbar ziemlich teure Getränke.«
»Aber wieso?« Durch seine Ungeduld erweckte Lumpi den Eindruck, noch jünger zu sein. »Warum tust du das alles? Nick hat uns Befehle gegeben. Wenn du mit Mikka reden willst, hättest du sie doch nach dem Besuch der Werft ausfindig machen können.«
Vector sah Mikka an. Langsam wich der Humor aus seinen Augen, bis sie kalt und hart dreinblickten.
»Sag’s ihm ruhig«, brummte Mikka. »Jemand muß sich ja dazu aufraffen.«
Sib trank erneut aus seinem Glas. Als er es abstellte, verschüttete er vom Inhalt ein wenig auf den Tisch.
Vector zuckte die Achseln. Dann wandte er sich Lumpi zu. »Die Käptens Liebchen wird nicht repariert. Jetzt nicht und voraussichtlich niemals mehr. Nick ist am Ende. Man wird ihn nicht mehr von diesem Felsklotz fortlassen. Er will’s bloß nicht eingestehen.« Der Bordtechniker sprach in ruhigem, traurigem Ton. »Alles was er
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