Amnion 3: Ein dunkler, hungriger Gott erwacht
Friedliche Hegemonie, das auf ihn wartete. Die Amnion hatten die Absicht, ihn bis in die Nukleotide zu untersuchen; dadurch wollten die Feinde der Menschheit ihre Mutagene vervollkommnen. Und zum Schluß würden sie ihn in ihresgleichen verwandeln. Vielleicht formte er sich einfach in einen monströsen Bestandteil ihres Gen-Imperialismus um; oder sie verwandelten ihn in einen scheinbar menschlichen, unmittelbaren Agenten ihres Willens. Ob so oder so, alles, was er über sich wußte, von sich kannte, käme ihm abhanden; es war verschachert worden und sollte transformiert werden.
Verfielen Männer und Frauen unter einem derartigen seelischen Druck nicht dem Irrsinn? Versagte nicht ihr Herz? Preßte die Furcht ihnen nicht den Brustkorb zusammen, bis sie keine Luft mehr bekamen?
Doch. Natürlich.
Aber für ihn verhielt die Situation sich noch viel schlimmer. Er hatte mir nichts, dir nichts als Sechzehnjähriger das Licht der Welt erblickt und wußte nicht, wer er war: sein Geist bestand aus einer Kopie des Bewußtseins seiner Mutter; sein Körper war das Replikat eines Mannes, den er nicht kannte. Weil er sein instinktives, grundlegendes Bedürfnis nach Selbstverständnis nicht befriedigen konnte, hatte er keine Fundamente des Denkens, Empfindens und Entscheidens. Soweit er sich zu entsinnen vermochte, war er eine Frau Anfang zwanzig, eine VMKP-Leutnantin beim ersten Einsatz im All, jung und unerfahren, aber voller Hingabe, eine entschlossene Kämpferin für die Bewahrung des Rechts der Menschheit, als das, was sie, und so, wie sie nun einmal war, zu leben und zu sterben. Aber diese Erinnerung war blanker Unfug. Ganz offensichtlich war er ein Mann; so eindeutig, daß er bei Morn Hylands Anblick eine Erektion bekam. Sie war eine schöne Frau, also konnte sie unmöglich seine Mutter sein, nein, niemals seine Mutter, wie könnte sie es auch nur im entferntesten sein? Seine Erinnerungen blieben ihm unbegreiflich, weil sie ohne jede Frage jemand anderem gehörten.
Und sie waren unvollständig. Wo Übergänge hätten erkennbar sein müssen, hatte er in seinem Geist ein Schwarzes Loch; an der Stelle, wo sein Gedächtnis ihm enthüllen müßte, wie sein Dasein begonnen, welche Bedeutung seine Geburt hatte, weshalb er unter solchen Bedingungen leben mußte, zerfransten seine Erinnerungen im Nichts.
Morn hatte ihm Antworten zu geben versucht. Sie hatte ihm erklärt, er sei von den Amnion durch ein ›Schnellwachstumsverfahren‹ zur Welt gebracht worden; sie hätten ihn ihrem Leib entnommen und binnen ungefähr einer Stunde seine physische Reife vollendet. Und ihr Geist sei seinem Hirn imprägniert worden – mitsamt allem: Bildung, Ausbildung, Gedächtnis, Reflexen –, weil er kein eigenes Bewußtsein gehabt hätte. Gerechtfertigt hatten sie ihre Entschlüsse, durch die er in diese Situation gelangt war, mit der schlichten Begründung, daß sie sonst beide das Leben verloren hätten.
Er glaubte ihr; nicht weil er es verstand, sondern weil es zu der Person paßte, die gewesen zu sein er sich erinnerte.
Doch sie hatte ihm keine hinlängliche Erklärung dafür gegeben, weshalb derartige Entschlüsse notwendig geworden waren; und er selbst konnte sich dessen nicht entsinnen.
Zweifellos hätte er unter solchem inwendigem Druck wie eine überhitzte Sonne quasi zur Nova werden müssen.
Weshalb das nicht geschah, blieb ihm unbegreiflich. Er fühlte sich wie eine überhitzte Sonne. Die Ursache seines kompromißlosen Festhaltens am gegenwärtig greifbaren Bewußtsein, seiner momentan vorhandenen Geistigkeit, verbarg sich irgendwo in dem Schwarzen Loch mitten in seinem Gedächtnis, war von dessen Schwärze verschlungen worden.
Jetzt beförderte die Kosmokapsel ihn durch die Schwärze des Weltalls seinem Verhängnis entgegen. Er konnte es nicht verhindern, nichts dagegen tun, absolut nichts. Trotzdem kämpfte er unbeirrt um sein Leben.
Er rang ums Erinnern.
Was hatte Morn ihm gesagt?
Deine Erinnerung endet an dem Punkt, hatte sie zu ihm gesagt, als bei mir zum erstenmal das Hyperspatium-Syndrom akut geworden ist.
Aber sie bestand darauf, daß ihr Sohn diese Krankheit nicht hätte.
Nick hasse ihn, hatte sie erwähnt, weil er von ihr belogen worden sei. Indem sie behauptet hatte, er, Davies, wäre sein Sohn.
Doch das war nicht alles. An den Anklängen der Unzulänglichkeit in ihrem Tonfall hatte Davies es gleich gemerkt.
Er ist ein innerlich zerquälter Mensch, und das ist etwas, das ich gegen ihn ausgenutzt habe.
Er wollte
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