Amnion 4: Chaos und Ordnung
verlassen!« brüllte er laut. »Gottverdammt noch mal, Morn, was machst du denn eigentlich, verfluchte Scheiße?! Glaubst du, wir brauchten dich hier? Bildest du dir ein, wir könnten keine Entscheidungen treffen oder Tasten drücken, ohne daß du uns erzählst, was wir tun müssen? Oder bist du bloß lebensmüde? Ist’s schon zu lange her, daß du das letzte Mal Selbstvernichtung gespielt hast?« An die Kante des Kommandopults geklammert, beugte er sich herab, stemmte sich in die Gurte. »Denkst du etwa, ich hätte bis jetzt alles durchgehalten, nur um mitanzusehen, wie dir dein blöder Verstand abhanden kommt? Das ist mein Raumschiff! Wenn ich einen Befehl gebe, hast du ihn zu befolgen!«
Seine Wut grenzte an Blutdurst. Dennoch flößte er Morn, weil vielleicht noch Residuen erhabener Klarheit in ihren Adern kreisten, keine Furcht ein. Ohnehin blutete sie schon: hatte sich am Schott bis aufs Blut aufgeschrammt. »Das heißt, nehme ich an«, murmelte sie so deutlich, wie ihr Kopfschmerz es erlaubte, »das Schiff ist noch intakt.«
Angus sank in den G-Andrucksessel zurück, als ließe ihre Bemerkung ihm die Luft ab; als ob sie ihn irgendwie beschwichtigte. »ja, es ist intakt.« Verwunderung und Nachdenklichkeit ließen das Puterrot in seiner Miene langsam zu dem gewohnten Fahlgrau verblassen. »Dein Sohn ist zwar nicht schlau genug, um ’n Ziel anzuvisieren, bevor er ballert, beherrscht aber mit dem Dispersionsfeld ’n gutes Tuning. Unser Gegenspieler hat uns voll getroffen, ohne ’ne Wirkung zustande zu bringen.«
Er forschte so intensiv in Morns Gesicht, als versuchte er ihr in den Geist zu blicken.
»Was sollte das?« fragte Davies in schwerfälligem Ton. »Warum bist du nicht von der Brücke gegangen? Weißt du nicht, wie gefährlich…?«
Er verstummte, als Angus ihm ins Wort fiel.
»Dein Hyperspatium-Syndrom ist nicht aufgetreten.« Vor Zweifel klang Angus’ Stimme rauh. »Vielleicht warst du zu lange besinnungslos. Oder die G-Belastung war zu schwach, um es auszulösen. Oder du hast’s mit dem verdammten Zonenimplantat derart übertrieben, daß dein Gehirn inzwischen weich ist. Scheiße, Morn, du…«
Was er zu sagen beabsichtigte, erfuhr Morn nie: den letzten Satz beendete er nicht.
Morn bewegte die Schultern, stöhnte infolge der Schürfwunden; setzte sich langsam auf. Angus hatte recht: Irgendein Umstand hatte verhindert, daß das HyperspatiumSyndrom akut wurde. Sie hatte genug Ge zu spüren bekommen, um überzuschnappen; das wußte sie genau. War sie so lang ohne Besinnung gewesen, daß das Syndrom unterdrückt worden war? Hatte sie sich mit dem Zonenimplantat-Kontrollgerät, ihrem schwarzen Kästchen, derartig überstrapaziert, daß inzwischen Nervenschädigungen vorlagen? Die Ursache ließ sich nicht feststellen.
Nachdem jetzt der kritische Moment vorüber war, empfand sie Erleichterung.
… und ein wenig Traurigkeit, als hätte sie, weil die klaren Gebote des Universums ausblieben, etwas verloren, das ihr viel bedeutet hatte.
Sie wußte, wie sich Davies fühlte.
»Und wohin fliegen wir?« fragte sie, während sie das Ausmaß ihrer Abschürfungen und Prellungen untersuchte.
»Recht so«, murmelte Davies. »Frag du ihn.« Mit einemmal klang seine Stimme nach Verbitterung. »Mir verrät er ja nichts.«
»Zurück«, brummte Angus wie jemand, der am liebsten die Hände in die Höhe geworfen hätte. »In den Asteroidenschwarm.« Indem er vor Verdruß oder Befremden eine Fratze schnitt, wies er auf die Bildschirme. »Man sieht’s doch.«
Davies knirschte ein Schimpfwort, aber Angus überhörte es.
»Ihr habt euch nicht so vertraut mit Beckmanns Karten gemacht wie ich«, fügte Angus hinzu. »Von hier aus kann man keinen zweckmäßigen Kurs einschlagen, der aus der hiesigen Scheißgegend hinausführt, außer dem, auf dem wir diesem Raumschiff begegnet sind, es sei denn, man räumt Asteroiden aus ’m Weg, indem man sie rammt. Wir befinden uns zwischen der Sturmvogel und den anderen Wichsern in der Zange. Wir könnten ausweichen und uns versteckt halten, aber letzten Endes würden sie uns doch erwischen. Deshalb möchte ich sie mir einzeln packen. Wenn sie uns gleichzeitig angreifen, nützt uns selbst das Dispersionsfeld nichts mehr. Also will ich mir zuerst die Sturmvogel vorknöpfen und sehen, wie ich mit ihr fertig werden kann. Über sie weiß ich mehr als über die anderen Drecksäcke.« Auch in seiner Stimme schwang Bitternis mit. »Und es besteht ja immerhin ’ne gewisse
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