Amnion 5: Heute sterben alle Götter
freundlich, »ist mit dir alles in Ordnung?«
Er gab keine Antwort. Nach einem längeren Moment jedoch nickte er ruckartig.
Mit einem Seufzen verlagerte Morn Hyland ihre Aufmerksamkeit zurück auf die übrige Brücke.
»Funkoffizierin, bestimmt haben Sie Dr. Shaheeds Funksendung gespeichert. Bitte bereiten Sie eine allgemeine Abstrahlung vor. Wenn wir daheim im Sonnensystem angelangt sind, setzen wir die Ausstrahlung fort. Vector, vielleicht paßt du auf, ob sie alles akkurat ausführt.«
Cray schnaubte angesichts der Unterstellung, sie könnte einen Fehler begehen. Vector Shaheeds Reaktion hingegen bestand aus einem Lächeln der Erleichterung. »Das dürfte mir gelingen, glaube ich.« Sofort hob er die Hände von der Tastatur der Kommunikationsanlagen, trat hinter Crays Andrucksessel und stützte sich auf die Rücklehne.
Wie selbstverständlich erteilte Morn Hyland weitere Befehle.
»Steuermann, bitte Kurs zur Erde setzen. Den günstigsten Kurs, den wir ohne mehr als ein Ge Schub fliegen können. Ich möchte das Raumschiff nicht in unnötigem Maß belasten.«
»Jawohl, Sir«, antwortete Emmett gewohnheitsmäßig. Er senkte die Hände auf die Tastatur und fing flink zu tippen an.
»Starten Sie durch, Steuermann, sobald Sie soweit sind«, ergänzte Morn ihren Befehl.
Die Rächer kehrte heim.
Resolut die Zähne zusammengebissen, versuchte Min sich einzureden, daß sie nach Warden Dios’ Willen verfuhr.
Und daß Warden Dios das Richtige wollte.
KOINA
Koina Hannish war in ihrem Büro gewissermaßen in Klausur gegangen. Es wies keinerlei Übereinstimmung mit dem einst so protzigen Chefbüro auf, in dem Godsen Frik residiert hatte, das ihr stets unsympathisch gewesen und das von dem Kaze völlig zerstört worden war, durch den der vorherige RÖA-Direktor den Tod gefunden hatte. Vielmehr zeichnete sich das Ambiente durch sachlichschlichten Ernst aus. Fürs erste hatte sie die mühsame Aufgabe, die Speicherbänke der Datenverwaltung nach der Wahrheit hinter Godsen Friks ekelhaftem Obskurantentum zu durchforschen, an ihre Untergebenen delegiert. Und sie hatte es ihrem Vorzimmer verboten, Anrufe oder An- und Nachfragen entgegenzunehmen, es sei denn, sie stammten direkt von Warden Dios. Sie hatte die Tür abgesperrt, die Computerterminals und -monitoren sowie den Interkom-Apparat abgeschaltet und die Beleuchtung herabgedimmert.
Jetzt saß sie an ihrem Schreibtisch und versuchte ihr Leben zu rekapitulieren. Jedesmal wenn sie vor einer schwierigen Festlegung stand, bereitete sie die Lösung vor, indem sie sich fragte, wer sie war, was sie wollte und welchen Überzeugungen sie anhing.
Begonnen hatte sie mit dieser Angewohnheit vor etlichen Jahren, als sie sich das erste Mal mit der Frage beschäftigte, was sie mit ihrem Leben anfangen sollte. Wie lauteten ihre Auffassungen? Auf welche Weise ließ sich danach ihr Dasein gestalten? Die Antworten hatten sie zu Tätigkeiten in der ›Öffentlichkeitsarbeit‹ geführt, die sie als eine Schnittstelle zwischen den Leuten verstand, die handelten, und den Menschen, auf die diese Maßnahmen Auswirkungen zeitigten. Aus ihrer Sicht war das die potentiell fruchtbarste Arbeit, die sie sich ausmalen konnte. Diese Art der Schnittstelle definierte die Natur der Beziehung zwischen jeder öffentlichen Einrichtung und ihrer Klientel; sie war das Organ, durch das Institution und Klientel miteinander kommunizierten. Schon die oberflächlichste Untersuchung der Funktionsweise von Regierungs- und Firmenkörperschaften erhellte unübersehbar, daß die ›Öffentlichkeitsarbeit‹ das Ausmaß ihrer Effektivität bestimmte.
Später hatten eben diese Einsichten sie dazu bewogen, eine Stellung im Ressort Öffentlichkeitsarbeit der VMKP anzutreten. Nirgendwo spielte diese Sorte von Schnittstelle eine bedeutsamere Rolle als im Umgang zwischen der Menschheit und ihren Verteidigern.
Aber die persönliche und berufliche Unehrlichkeit des früheren RÖA-Direktors hatte sie dazu genötigt, ihr Leben noch einmal zu betrachten. War sie dazu imstande, den Mißbrauch seiner Position in Holt Fasners Namen zu tolerieren, die Entstellung all dessen, was durch seine Hände ging? Und wenn nicht, was könnte sie anderes unternehmen?
Letzten Endes war sie zu der Auffassung gelangt, daß die Tätigkeit der VMKP-RÖA zu wichtig war, als daß sie einfach aussteigen dürfte. Sie befand sich an dem Posten, an den sie gehörte. Da sie Godsen Frik nicht in einen ehrbaren Menschen umwandeln konnte,
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