Amnion 5: Heute sterben alle Götter
Thermopyle feixend. »Ich gehe mit. Nur für den Fall, daß Sie auf den Gedanken kommen, doch kein lieber Junge zu sein. Oder daß Direktorin Donner es sich anders überlegt.«
Er übergab Mins Dienstwaffe Davies Hyland, ehe er Dolph Ubikwe von der Brücke folgte.
Min durchschaute, was geschah, obwohl niemand es in Worte faßte: Ubikwe war soeben als Geisel genommen worden.
Mit seinem Abgang schien dem Polizeikreuzer insgesamt der Mut zu schwinden. Die Brückencrew erschlaffte an ihren Plätzen. Die Leute zogen lange Gesichter; teils ließen sie sogar den Kopf hängen. Selbst Glessens störrische Ablehnung verpuffte. Von Bydell hörte man einen leisen Laut, der ein Stöhnen der Selbstaufgabe sein mochte.
Unvermittelt flammte Min Donners Zorn wie das Aufleuchten einer Signalrakete von neuem empor; sie spürte, daß sie die Finger der Rechten wiederholt beugte und streckte, ganz ähnlich wie Angus Thermopyle; als ließe sich dadurch das Brennen des Handtellers lindern. Sie lechzte nach ihrer Waffe.
»Machen Sie’s nicht schwieriger als nötig, Leutnantin Hyland«, warnte sie. »Unsere Besatzung ist schon bis an die Grenze des Verkraftbaren belastet worden. Die geringste Kleinigkeit kann dazu führen, daß sie durchdreht. Sollte Ihr Cyborg Kapitän Ubikwe nur ein Härchen krümmen, bricht ein gnadenloser Kampf aus.«
Und ich persönlich werde euch allesamt exekutieren.
»Das ist uns klar«, antwortete Morn Hyland verhalten. »Wir wissen, welches Risiko wir tragen.«
Mins Pistole in der Faust, verließ Davies Hyland die Konnexblende, näherte sich seiner Mutter und dem Kommandosessel. »Angus hat niemandem mehr etwas getan, seit Sie seine Prioritätscodes Nick Succorso zugeschanzt haben«, sagte er vorwurfsvoll zur Direktorin. »Gegenwärtig ist ihm leichter als Ihnen zu vertrauen.«
Min preßte die Finger in die Glut ihrer Handflächen und zwang sich zum Verzicht auf eine Erwiderung.
Auch nun hielt Morn Hyland sich nicht mit Zögern auf; sie hatte sich festgelegt, unwiderruflich zu dieser Weise des Vorgehens entschlossen; falls Zweifel sie plagten, verheimlichte die Leutnantin sie.
In vorsätzlicher Mißachtung ihrer Ausbildungsjahre an der Polizeiakademie und ihrer ganzen Familiengeschichte – des Respekts vor Rang und Autorität, den man sie zweifelsfrei gelehrt hatte – trat sie zum Kapitänssessel und schwang sich in Ubikwes Sitz. Trotz der Trübsal in ihren Augen machte sie den Eindruck, sich ihrer Sache vollkommen sicher zu sein. Der Gußverband an ihrem Arm verlieh ihrer Haltung eine seltsame Mischung von Wehrlosigkeit und Würde.
Min Donner, eigentlich ratlos vor Entrüstung, beobachtete sie verstört – und mit einem sonderbaren, freudigen Stolz darauf, daß eine ihrer Untergebenen sich einer derartigen Herausforderung gewachsen zeigte.
»Mikka«, sagte Morn Hyland mit ruhiger Stimme, »ich möchte, daß du die Steuerung überwachst.«
»Geht klar.« Mikka Vasaczk stapfte zu Emmetts Steueranlagen-Kontrollkonsole, bezog Aufstellung an der Armlehne des G-Andrucksessels, um einen ungehinderten Überblick der Tastatur und sämtlicher Displays zu haben.
»Davies«, ordnete die Leutnantin als nächstes an, »es ist besser, du gibst auf Direktorin Donner acht. Nur zur Rückversicherung. Mir ist es wichtig, daß jeder an Bord weiß, sie steht unter Aufsicht, so wie Kapitän Ubikwe.«
Damit beabsichtigte sie offen klarzustellen, daß weder Min Donner noch Dolph Ubikwe irgendeine Verantwortung für die Taten der Besatzung der Posaune trug. Auf verschleierte Weise schützte sie Min und Dolph Ubikwe, die Rächer. Eventuell erstreckte sich der Schutz sogar auf Warden Dios. Zumindest in diesem Umfang verstand Min die Bedeutung der durch Morn Hyland gefällten Entscheidungen.
Rasch wechselte Davies Hyland den Standort, so daß er freies Schußfeld auf Min erhielt, im Ernstfall seine Mutter oder Mikka Vasaczk nicht gefährdete. Indem er die Miene verzog, bis sie dem Grinsen seines Vaters ähnelte, richtete er Mins eigene Dienstwaffe auf sie. Allerdings blieb er auf Abstand; anscheinend hatte er gesehen, wie schnell sie sein konnte.
Sobald ihr Sohn Mins Bewachung übernommen hatte, drehte Morn Hyland den Kommandosessel. Mins Augen folgten ihrer Blickrichtung; sie sah, daß Mikka Vasaczks Bruder noch auf dem Deck kauerte. Er war zum Schott gekraucht, drückte sich mit der Schulter dagegen, als wollte er sich verstecken und hätte vergessen, wie man so etwas machte. »Ciro«, erkundigte Morn Hyland sich
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