Amnion 5: Heute sterben alle Götter
jemandes Rat gebraucht hätten als Sie. Wenigstens nicht meine Ratschläge.«
»Es ist mein Ernst, Kapitän Vertigus.« Koina empfand es als schwierig, bei bloßem Geraune einen harten Tonfall anzuschlagen. Ihr war zumute, als ob das Leisesprechen ihre Schwäche vertiefte. Sie hatte eine Führungsentscheidung zu treffen, verfügte aber über keinerlei Erfahrung, an der sie sich hätte orientieren können. »Ich weiß nicht, was ich tun soll.«
Sixten Vertigus seufzte. Schon durch die Lautstärke allein klang seine Stimme gereizt, ja Geringschätzig. »Dann ist es wohl doch besser, Sie erzählen mir, was Sie so beunruhigt.«
Doch sobald er bereit war zum Zuhören, hatte Koina plötzlich Bedenken. »Unsere Verbindung ist nicht abhörsicher.« Noch immer fürchtete sie sich davor, ihr Problem auszusprechen. »Wissen Sie, ob jemand bei Ihnen uns belauschen könnte?«
»Meine liebe Koina«, antwortete er gedehnt und mit bitterer Belustigung, »ich bin Kapitän Vertigus, der Kapitän Vertigus. Ich stehe in dem Ruf, alt und überflüssig zu sein. Außerdem döse ich meistens vor mich hin. Hier verschwendet niemand Zeit damit, mich zu belauschen.«
Seine Sarkasmus vertrieb in gewissem Umfang Koinas Unsicherheit. Sie mochte nicht den Eindruck erwecken, sich wie ein ängstliches kleines Mädchen zu benehmen. Sie mußte einfach stärker sein.
»Oh, das ist wohl inzwischen nicht mehr zutreffend«, erwiderte sie merklich nachdrücklicher. »Seit der letzten Konzilssitzung« – als der VWB-Deputierte das Abtrennungsgesetz präsentiert hatte – »ist Cleatus Fane bestimmt bis zum Mord zu gehen bereit, um zu erfahren, was Sie als nächstes vorhaben.«
Vertigus äußerte sich nicht zu ihrem Einwand. »Um was handelt’s sich denn nun?« fragte er statt dessen.
Also los, ermahnte sich Koina. Vorwärts. Wenn sie Kapitän Vertigus nicht vertrauen durfte, konnte sie niemandem trauen. Am wenigsten sich selbst.
»Es ist schwierig zu beschreiben«, meinte sie umständlich. »Es steht so vieles auf der Kippe. Sie wissen ja, was sich gegenwärtig abspielt, sie empfangen bestimmt die Mitteilungen aus dem VMKP-HQ.« Ganz zu schweigen von den Informationen, die die Ortungssysteme und Telekommunikationsmedien der Erde ihren Bewohnern lieferten. »Die Situation ist offensichtlich miserabel genug. Aber es könnte noch schlimmer kommen.« Sie stockte, zwang sich zum Weiterreden. »Es ist der Zeitpunkt des Konflikts, der mir Bauchschmerzen verursacht. Ich verfüge über außerordentlich sensationelle Erkenntnisse. Über Informationen, die der VMKP enorm schaden können.« Nur dank größter Überwindung brachte sie gerade genug Kraft auf – oder Überzeugung –, um dergleichen auszusprechen. »Und ebenso Holt Fasner…«
»Geht’s um Kaze, Koina?« unterbrach Vertigus sie.
»Unter anderem«, räumte sie vorsichtig ein. Ohne konkrete Bestätigung von Seiten des OA-Sicherheitsdiensts und der DA blieb Hashi Lebwohls gegen den VMK-GD gerichteter Verdacht reine Spekulation. »Der Rest betrifft noch üblere Sachen. Übler für uns jedenfalls.«
»Und?« drängte Vertigus.
»Ich wollte das Regierungskonzil einweihen. Alles in die kollektive Urteilsgewalt der Konzilsdelegierten legen. Ursprünglich hatten wir bei der Anberaumung der Krisensitzung lediglich eine Grenzverletzung im Bereich des Massif-5-Systems zu berücksichtigen. Aber jetzt sind die Amnion nicht mehr irgendwo fern im Weltall. Wir haben sie direkt vor der Nase. Deshalb befürchte ich« – Koina bemühte sich um deutliche Aussprache –, »es könnte eine unübersehbare Katastrophe eintreten, wenn ich unter diesen Bedingungen die schmutzige Wäsche auspacke. Ich habe Furcht, eventuell ein Riesenunheil auszulösen.«
»Wie denn das?« Diesmal klang Kapitän Vertigus’ Stimme distanziert, als dächte er längst über etwas ganz anderes nach.
Koina setzte zu einer Erklärung an. »Leider ist es so, daß…«
Unvermittelt fiel er ihr ins Wort. »Egal. Lassen wir die Frage. Ich will es gar nicht wissen.« Mit einem Mal war er nicht mehr geneigt, ihr Gehör zu schenken. »Bitte entschuldigen Sie, Direktorin Hannish, aber ich habe dringende Arbeit zu erledigen.«
Seine Abweisung kränkte Koina; sein Verhalten bedeutete eine Brüskierung. »Einen Moment mal«, sagte sie. »Was für Arbeit?« Doch sobald sie der eigenen Stimme den Zorn anhörte, versuchte sie ihre Reaktion abzuschwächen. »Es liegt mir völlig fern, die Wichtigkeit Ihrer Betätigung zu schmälern, aber fällt
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