Amnion 5: Heute sterben alle Götter
verdutzte Koina. »Wer würde denn jetzt an so was denken?« hielt sie ihm entgegen. »Mein Gott, Ing, eine mit ’m Superlicht-Protonengeschütz bewaffnete Amnion-Defensiveinheit fliegt aufs VMKP-HQ zu. Der ganze Planet schwebt in größter Gefahr, und Warden Dios ist der einzige Mensch, der abhelfen kann. Wen soll denn da noch interessieren, mit wem ich telefoniere, oder was ich zu erörtern habe?«
Dieser Wortwechsel war genau das, was sie brauchte: eine Auseinandersetzung; irgend jemanden, über den sie sich aufregen konnte. Dadurch wurden in ihr Kräfte freigesetzt, die ihr wieder klares Denken ermöglichten. Der Vize-Sicherheitschef zuckte die Achseln; aber er ließ sich nicht beirren. »Cleatus Fane?«
Natürlich hatte er recht. Ohne jeden Zweifel beschäftigte sich Holt Fasner höchstpersönlich mit der durch das Amnion-Kriegsschiff hervorgerufenen Krise. Dabei fiel nach aller Wahrscheinlichkeit seinem Geschäftsführenden Obermanagementdirektor die Aufgabe zu, sich das Regierungskonzil vorzuknöpfen – und Koina Hannish. Doch sie konnte es sich praktisch gar nicht erlauben, sich durch Forrest Ing umstimmen zu lassen.
»Dann lenken Sie ihn ab«, erwiderte sie mit einer gewissen Schärfe. »Während ich mit Kapitän Vertigus spreche, reden Sie mit ihm. Sagen Sie, Sie riefen in meinem Auftrag an. Es ginge darum… Ach, ich weiß nicht worum…« Sie fuchtelte mit den Händen. »Von mir aus, daß ich sicher sein möchte, er nimmt an der Krisensitzung teil. Ergehen Sie sich in düsteren Andeutungen, als sollte er eingeschüchtert werden. Wenn Sie seine Aufmerksamkeit beanspruchen, kann wahrscheinlich nichts passieren.«
»Na gut.« Wieder war Forrest Ings Höflichkeit gänzlich verflogen. »Wie Sie wünschen. Aber eins will ich Ihnen unmißverständlich sagen…« Er rückte noch näher; senkte die Stimme so sehr, daß er nahezu flüsterte. »Der OA-Sicherheitsdienst reißt sich den Arsch auf, um Ihnen die Beweise zu verschaffen, die Polizeipräsident Dios für Sie angefordert hat. Wenn Sie uns die Chose vermasseln, machen wir bestimmt keine gute Miene zum bösen Spiel.«
Seine Äußerungen verursachten bei Koina eine spontane Aufwallung des Zorns. »Beleidigen Sie mich nicht, Vize-Sicherheitschef«, fuhr sie ihn gedämpft an. »Die Öffentlichkeitsarbeit fällt nicht in Ihre, sondern in meine Zuständigkeit. Polizeipräsident Dios hat mir seine Befehle erteilt. Wie ich sie ausführe, ist eine Sache zwischen ihm und mir.« Ing widersprach ihr nicht; doch sein eherner Blick blieb auf sie gerichtet, während er sich den Ohrhörer ins Ohr zurückstöpselte und seinen Kommunikationstechniker anwies, ihn mit Cleatus Fane zu verbinden.
»Direktorin«, sagte Koinas Kommunikationstechnikerin zaghaft, »die Verbindung steht. Kapitän Vertigus wartet.«
»Danke.«
Mit klopfendem Herzen schob Koina sich erneut das kleine Kehlkopfmikrofon an den Hals und zog sich, so gut es ging, in die illusorische Privatsphäre ihres G-Andrucksessels zurück.
Nur die hohe Aufnahmeempfänglichkeit des Mikrofons bot ihr Schutz gegen die Ohren ringsherum. Es konnte die Schwingungen der Stimmbänder übertragen, selbst wenn sie jedes Wort stumm aussprach.
»Kapitän Vertigus«, meldete sie sich so laut sie es wagte, »hier ist Koina Hannish.«
Was aus ihrem Ohrhörer drang, gelangte niemandem außer ihr zur Kenntnis. Trotzdem schien seine Antwort gefährlich laut zu sein, als riefe er durchs ganze Shuttle.
»Meine liebe Koina, Sie erstaunen mich.« Ungeachtet der altersbedingten Zittrigkeit seiner Stimme vermittelte sie den Eindruck einer sonderbaren Heiterkeit. Vielleicht fand er Spaß an Krisen. Möglicherweise halfen sie ihm beim Wachbleiben. »Weil im Moment soviel los ist, kümmern sich selbst meine eigenen Mitarbeiter kaum um meine Wenigkeit. Woher nehmen Sie die Zeit, um mich anzurufen?«
Anscheinend erwartete er diesbezüglich gar keine Auskunft. »Ist bei Ihnen alles in Ordnung?« erkundigte er sich. »Sie hören sich an, als hätten Sie Streß.« Er lachte mit trockenem Humor. »Na, wer bleibt heutzutage schon davon verschont?«
Koina konzentrierte sich völlig auf sich selbst; doch diese Art der Absonderung war so illusorisch wie die Separierung durch den Andrucksessel. Sie fühlte sich klein und hilfsbedürftig. »Ich muß mit Ihnen reden, Kapitän Vertigus«, flüsterte sie. »Ich brauche Ihren Rat.«
»Das ist doch Unsinn«, widersprach Vertigus sofort. »Mir ist noch keine Frau begegnet, die weniger irgend
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