Amnion 5: Heute sterben alle Götter
Es schien, als ob sich auch niemand rührte. Schließlich wechselte Kapitänhauptmann Ubikwe das Standbein. »Ich weiß nicht, wie’s Ihnen geht, Direktorin«, meinte er mit schwerfälliger, halblauter Stimme und unvermindert düsterer Miene, »ich jedenfalls bin äußerst gespannt darauf zu erfahren, was das wohl für ’ne ›Aufgabe‹ sein mag.«
Langsam drehte Min Donner sich ihm zu. Ihre harten Augen und der strenge Mund gaben nichts von dem preis, was ihr Gemüt bewegte; was sie empfand, verbarg sie hinter einer Wand eiserner Selbstdisziplin. Sie zeigte Ubikwe, daß sie sicher war – ihrer selbst und ebenso dessen, was sie wollte. Danach heftete sie den Blick erneut auf Morn.
»Trotz allem ist es relevant, was ich denke«, sagte Min Donner. »Reden Sie sich nicht ein, es wäre anders. Das Kommando über die VMKP oder das VMKP-HQ haben Sie nicht. Wenn Sie anstreben, daß ich Ihnen freie Hand lassen, müssen Sie mich davon überzeugen, daß ich richtig handele.« Ehe Morn fragen konnte: Und wie?, konkretisierte die Direktorin ihre Forderung. »Erzählen Sie mir, was Ciro zugestoßen, was aus Nick Succorso und Sib Mackern geworden ist.«
Man hätte meinen können, daß ihr Wunsch in Wirklichkeit lautete: Verdeutlichen Sie mir, in was für Menschen Sie sich verwandelt haben.
Ihr Ansinnen überraschte Morn. Trotzdem sah sie darin durchaus einen Sinn. Geradeso wie sie mußte auch die OA-Direktorin einen Standpunkt beziehen, ohne über vollständige Informationen zu verfügen. Morn hatte ihre Absichten nicht genannt. Auf welcher Grundlage sollte Min Donner ihre Entscheidungen treffen?
Morn war verzweifelt daran gelegen, die schwache Akzeptanz, die Min Donner ihr entgegenbrachte, nicht zu verspielen. Die Direktorin hatte recht: Morn brauchte sie.
»Kapitän«, tuschelte Patrice vorsichtig Ubikwe zu, »noch drei Minuten bis zum Interspatium-Transitfenster.«
Kapitänhauptmann Ubikwe antwortete nicht. Auch Min Donner schwieg. Für sie und alle anderen Personen auf der Brücke hatten Morns Auskünfte Vorrang.
Sie faßte sich möglichst kurz. Drei Minuten waren eine kurze Frist, und sie mochte sich im Schmerz über Sibs Tod und im Bedauern für den in tiefernster Krise befindlichen Ciro nicht suhlen.
Mit wenigen Sätzen gab sie wieder, was sie über Sorus Chatelaine und die Sturmvogel wußte, warum sie für die Amnion gearbeitet und Nick sie gehaßt hatte; schilderte Chatelaines Bemühung, die Posaune durch Ciro aufzuhalten, Nicks Reaktion auf den Verlust der Gewalt über Angus, die Vernichtung von Deaner Beckmanns Schwarzlabor, die Verfolgung der Posaune durch die Sturmvogel quer durch den Asteroidenschwarm sowie Ciros Rettung vor dem Mutagen. Sie erläuterte, warum es Nick erlaubt worden war, EA aufzunehmen und der Sturmvogel aufzulauern – und weshalb Sib ihn begleitet hatte. Sie erwähnte sogar Ciros Sabotage beider Antriebsanlagen der Posaune.
Schon diese gedrängte Zusammenfassung der Ereignisse verursachte ihr Beklemmungen. »Sind Sie jetzt zufrieden, Direktorin Donner?« fragte sie barsch, nachdem sie die Darstellung der Geschehnisse beendet hatte. »Glauben Sie, mir behagte die gegenwärtige Situation, oder ich fände Vergnügen an dem, was wir tun müssen?«
Sie rechnete mit einer feindseligen Entgegnung. Angus bereitete sich anscheinend darauf vor, sie zu unterstützen, wenn sie sich dagegen verwahrte. Mikka schnitt eine Miene, als müßte sie einen Tobsuchtsfall bekommen, falls irgendwer ihren Bruder kritisieren sollte.
Aber Min Donners Antwort fiel maßvoll aus; klang beinahe traurig. »Zufrieden?« wiederholte sie. »Eigentlich nicht. Aber das kann ich nicht Ihnen zum Vorwurf machen. Obwohl ich es nicht kenne, nehme ich die Konsequenzen Ihres Vorhabens in Kauf.«
Als nächstes wandte sie sich wieder an Dolph Ubikwe. »Die Antwort lautet nein, Kapitänhauptmann. Unverändert ziele ich nicht darauf ab, Leutnantin Hylands Vorgehen zu behindern. Wir haben sie bis jetzt gewähren lassen, nun können wir auch noch ein wenig weiter gehen.«
Ein unterschwelliges Aufstöhnen ging durch die Brücke: Erleichterung oder Ablehnung. Unterscheiden konnte Morn es nicht.
Min Donners Zugeständnis war günstigstenfalls vorläufiger Natur: Dennoch hatte Morn das Gefühl, damit zurechtkommen zu können.
Kapitänhauptmann Ubikwe hob die Schultern. »Wenn’s so ist, Leutnantin Hyland«, bemerkte er mit rauhem Baß, »sollten Sie wohl besser der Mannschaft durchsagen, daß wir gleich in die Tach
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