Amnion 5: Heute sterben alle Götter
Succorso. Infolgedessen ist es doppelt befremdlich, daß wir sie jetzt in Begleitung Kapitäns Thermopyles sehen. Ist sie den Amnion entflohen? Wenn ja, wie? Wurde sie freigelassen? Wenn ja, weshalb?«
Der DA-Direktor mochte seine Hypothese, daß man Morn Hyland in eine Art von genetischen Kaze umgewandelt hatte – eine gegen das VMKP-HQ gerichtete, biologische Waffe – noch nicht vollends verwerfen. Morn Hyland war von Angus Thermopyle befreit worden – soviel hatte Warden Dios privat zugegeben –, doch das schloß andere Möglichkeiten nicht zwangsläufig aus.
Längst hatte Dios eine finstere Miene gezogen, als Hashi Lebwohl verstummte. Für einen ausgedehnten Moment ließ er den Blick fest in Lebwohls Augen gebohrt: Es war nicht unvorstellbar, daß er abzuklären versuchte, wieviel der DA-Direktor wußte – oder mutmaßte. Schließlich nickte Dios. »Ich werde diese Fragen berücksichtigen.«
»Verzeihen Sie, Polizeipräsident Dios«, sagte Koina Hannish hartnäckig. Sie blieb nahezu reglos an ihrem Platz sitzen und vermittelte dennoch den Eindruck, soeben aufgestanden zu sein. Leichtes Zittern durchlief ihre Stimme, ohne ihre entschiedene Haltung zu schwächen. »Direktor Lebwohl erwähnt ›Absichten‹. ›Unsere Absichten‹. In welcher Hinsicht soll es denkbar sein, daß Leutnantin Hyland für irgendwelche unserer Absichten eine ›Gefahrenquelle‹ verkörpert? Ich habe gehört, wie Direktor Lebwohl dem Regierungskonzil begründet hat, weshalb sie von uns Kapitän Succorso überlassen wurde. Schon das hat mir mißfallen, aber was hier angedeutet wird, klingt nach noch weit Schlimmerem. Sie ist eine unserer Mitarbeiterinnen. Warum, in Gottes Namen, mußte also dem Data-Nukleus eines VMKP-Cyborgs ›explizit‹ das Verbot eingeschrieben werden, sie zu retten? Ich hätte dagegen einzuwenden gehabt, daß so etwas unseren Absichten stärker widerspricht als alles, was sie sagen oder tun könnte.«
Ohne Zweifel hätte Koina Hannishs Einwand Min Donners Beifall gefunden. In dem Umfang, wie Sicherheitschef Mandich zu klarem Denken fähig war, teilte er sicherlich die Ansicht der RÖA-Direktorin. Hashi Lebwohl hingegen ließ sich nicht beirren. Entschlossen schob er sich die Brille den Nasenrücken hinauf. Die Verschmiertheit der überflüssigen Gläser unterstützte sein Konzentrationsvermögen.
Nun war es notwendiger denn je, daß er Warden Dios richtig verstand.
Obwohl Dios ruhig in seinem Sessel verharrte, schien seine Gestalt einen noch dominanteren Charakter anzunehmen, beinahe anzuschwellen, als gewönne er aus der Luft und dem Ambiente des Büroraums Masse. Während die RÖA-Direktorin sprach, hatte er sie unnachgiebigen Blicks betrachtet. Sobald er ihr antwortete, klang seine Stimme schwerfällig von Bitternis und Selbstüberwindung. Jedes Wort hatte eine Präzision wie das Aufblitzen eines Lasers.
»Direktorin Hannish, wie ist die Verabschiedung des Autorisierungsgesetzes zustandegekommen?«
Sie gab Antwort, ohne in ihrer Resolutheit zu erlahmen. »Beim KombiMontan-Sicherheitsdienst hatte ein Verräter mit Angus Thermopyle konspiriert, um Stationsvorräte zu stehlen.« Hinter ihrer professionellen Schale und der weiblichen Weichheit war sie zäher, erkannte Hashi Lebwohl, als man es dem seligen Godsen Frik je hatte nachsagen können. »Dadurch war das Regierungskonzil aufgeschreckt worden. Folglich waren die Konzilsdelegierten zu der Einschätzung gelangt, daß sie, wenn sie einem lokalen Stationssicherheitsdienst nicht trauen durften, keine andere Wahl hatten, als unsere Zuständigkeit zu erweitern.«
Warden Dios nickte. »Wäre das Autorisierungsgesetz verabschiedet worden, hätte das Regierungskonzil keinen Schreck gekriegt?«
Die Weise, wie Hannish den Mund verzog, glich einem Achselzucken. »Bei zwei vorherigen Abstimmungen war es abgelehnt worden.«
»Genau.« Warden Dios’ Stimme klang dermaßen scharf, als könnte man damit jemandem die Haut aufschneiden; als triebe es ihn um, das eigene Blut zu vergießen. »Aber die Konzilsmitglieder wurden getäuscht. Wir haben sie betrogen. Der ›Verräter‹ beim KombiMontan-Sicherheitsdienst hat nicht mit Angus Thermopyle konspiriert. Er hat mit uns konspiriert. Wir haben Kapitän Thermopyle eine Falle gestellt, um das Regierungskonzil zu erschrecken. Damit es das Autorisierungsgesetz verabschiedete.«
Die geballte Kraft des Polizeipräsidenten beherrschte das Konferenzbüro. »Leutnantin Hyland weiß, daß er unschuldig ist«, konstatierte
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