Amnion 5: Heute sterben alle Götter
Behemoth-Klasse regelrecht im Nacken, und es heißt, wir sollen nicht das Feuer eröffnen?«
»Absolute Priorität, Sir«, wiederholte Cray.
»Niemand schießt, Kapitän«, meldete Porson aufgeregt. »Weder das VMKP-HQ noch die Stiller Horizont. Wir haben Raumschiffe in Schußweite. Weitere Einheiten sind unterwegs. Bis jetzt hat niemand gefeuert.«
Mit beträchtlicher Mühe meisterte er seine Erregung. »Ich orte die Abenteurer«, fügte er hinzu, »sie ist aber noch nicht nahe genug heran. Auch die Heros ist da. Wie’s aussieht, dürfte sie zehn Minuten vor uns in die Tard zurückgefallen sein. Allerdings ist sie noch ’n Stück weiter weg, Sir.« Wo die Rächer hätte sein sollen. »Zu weit für Gefechtstätigkeit.«
In der verminderten Gravitation ließ Morns Schmerz langsam nach. Angus hatte wohl weniger roh zugeschlagen, als sie zuerst gedacht hatte. Morn konnte nicht sprechen; kaum denken. Doch zum Zuhören war sie fähig.
Wie Hitzeflimmern dämmerte in den Randzonen ihres Verstands allmähliches Begreifen. Die Situation erhellte sich für sie wie durch fernes Flackern. Die Stiller Horizont hatte einen himmelschreienden Aggressionsakt verübt – aber niemand schoß auf sie. Natürlich nicht. Das riesige Kriegsschiff war nicht zum Zweck einer Selbstmordaktion gegen das VMKP-HQ und das EKRK ins Erd-Sonnensystem vorgestoßen. Vielmehr war es das Ziel des Amnioni, die Posaune abzufangen. Den Interspatium-Scout zu kapern, falls möglich; ihn zu atomisieren, falls es sein mußte.
VMKP-HQ und EKRK dienten als Geiseln…
Grimmig kämpfte Morn gegen die Nachwirkungen des Hyperspatium-Syndrom-Anfalls an. Sobald Kapitän Ubikwe und Min Donner die Lage durchschauten, fanden sie sich vielleicht dazu bereit – um VMKPHQ und Regierungskonzil zu retten –, Morn und ihre Leidensgefährten zu opfern. Wenn Warden Dios es so wollte…
»›Befehl von der Stationszentrale?!‹« tobte Dolph Ubikwe. »Wessen Befehl? Du lieber Gott, strecken wir etwa die Waffen? Cray, wer wünscht, daß wir den Schleimbeutel nicht unter Beschuß nehmen?«
»Die Weisung stammt von Hashi Lebwohl, Sir«, informierte ihn Cray. Sie konnte ihre Frappiertheit nicht kaschieren. »Befehlshabender Direktor der VMKP.«
»Hashi Lebwohl hat die Führung?!« fuhr Min Donner auf wie eine Tigerin. »Wie, zum Teufel, ist es denn dahin gekommen? Was ist aus Warden Dios geworden?«
Sie wandte sich an Cray. »Funkoffizierin, schalten Sie mir eine direkte Verbindung zum Befehlshabenden Direktor Lebwohl. Absolute Priorität. Auf diese Tour kann ich so gut vorgehen wie er. Ich will mit ihm reden.«
»Na los, Cray«, sagte Dolph Ubikwe. Doch die Aufforderung war überflüssig: Cray befaßte sich schon mit der Erledigung.
Fortgesetzt knatterten die Impulse der Zielverfolgung des Amnion-Raumschiffs in die Sensorinstrumente der Rächer. Doch die Bordartillerie der Stiller Horizont schwieg.
Verkniffen schielte Kapitän Ubikwe auf die Monitoren. »Bremsschuh reduzieren«, wies er den Steuermann ein zweites Mal an. »Wir haben wenig Bewegungsfreiheit. Aber wir können wenden. Erarbeiten Sie ’n neuen Kurs. Ich will uns in der Schußrichtung positionieren, die der Amnioni auf Suka Bator hat. Führen Sie das Bremsmanöver so durch, daß wir uns seiner Umlaufbahn angleichen und darin bleiben. Wenn wir schon zu sonst nichts imstande sind, will ich wenigstens ’n Hindernis abgeben.«
Während Patrice den Befehl befolgte, nahm der Andruck weiter ab. Die Vektoren der G-Belastung wechselten. Morns Beschwerden verringerten sich auf hintergründiges, nahezu erträgliches Pochen ihres Schädels. Glieder und Kopf blieben schwerer als normal, im Vergleich zu vorher jedoch fühlte sie sich jetzt leicht. Und das Rumoren des Schubs durch den Rumpf schwoll stetig ab: Sie verlor Gewicht, als ob sie verdunstete. Voraussichtlich konnte sie den Kopf bald heben.
Ihr Arm schmerzte wieder und juckte.
»Morn«, rief Davies quer durch die Brücke, »ist mit dir alles in Ordnung?« Seine Stimme klang, als wäre er aus Sorge und Furcht völlig verzweifelt. Ihm mußte klar sein, weshalb Angus sie geschlagen hatte.
Angus beugte sich über sie. »Sag was, Morn«, forderte er so gedämpft, als wäre ihm vor ihr bange. »Zwing mich nicht, dich noch mal zu dreschen.«
Morn legte eine Hand auf seinen Arm und zog ihn näher. »Du hast versprochen, zu mir zu halten«, raunte sie so matt, als seufzte sie lediglich. Davies verdiente eine Auskunft; doch Morn konnte für niemanden außer Angus
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