Amnion 5: Heute sterben alle Götter
vorher, was ich da auf mich nehme.«
Anscheinend hatte der DA-Direktor mit ihrer Frage gerechnet; doch seine Antwort wich ihr aus. »Als befehlshabende Direktorin«, erklärte er förmlich und so zerstreut, als wäre er in Gedanken schon ganz woanders, »haben Sie ebenso übersichtliche wie vielfältige Pflichten. Das VMKP-Statut schreibt uns den Schutz und die Verteidigung der Menschheit vor. Die Gefahr ist offenkundig. Ein mit einem Superlicht-Protonengeschütz bewaffnetes Amnion-Kriegsschiff der Behemoth-Klasse ist in den Human-Kosmos eingedrungen. Seine Materiekanone und sonstige Bordartillerie reichen zur Annihilation des VMKP-HQ völlig aus. Das Protonengeschütz zielt auf Suka Bator. Läßt man ihm genügend Zeit, kann es uns erhebliche Schäden zufügen, sowohl auf dem Planeten wie auch im Orbit. Sicherlich sind Sie durchs Scanning über unsere Abwehrmaßnahmen orientiert. Auf Wunsch kann die Stationszentrale Ihnen zusätzliche Informationen liefern. Es ist eindeutig, daß Sie der Gefährdung durch die Stiller Horizont entgegentreten müssen.«
Im Laufe der Erläuterungen Hashi Lebwohls verließ Davies seinen Andrucksessel und stellte sich an der Kommandokontrollkonsole neben Angus. Kapitän Ubikwe tat das gleiche, als dächte er, Min Donner brauchte seinen Rückhalt. Während der nachfolgenden Darlegungen des DA-Direktors hätte man den Eindruck gewinnen können, sie hielten Wache.
»Das Erscheinen des Amnioni ist für uns unerwartet gekommen und hat eigentümliche Aspekte«, erklärte Hashi Lebwohl. »Anscheinend befindet sich ein vormaliger Mensch an Bord, ein gewisser Marc Vestabule.«
Morn schnappte unwillkürlich nach Luft. Davies’ Atem fauchte durch seine Zähne. Trotz ihrer emotionalen Ausgelaugtheit zuckte sogar Mikka zusammen. Morn war Vestabule das erste Mal auf Station Potential begegnet, ein zweites Mal in Kassafort. Mehrmals war er an Bord der Käptens Liebchen gewesen, um die Forderung der Amnion nach Davies’ Leben vorzutragen. Und ihm war Morn von Nick übergeben worden. In einer Zelle der Amnion-Sektion Kassaforts hatte Vestabule ihr ein Mutagen in die Adern gespritzt.
Hätte sie darüber nachgedacht, wäre ihr klar gewesen, daß er auf der Stiller Horizont mitflog. Sie hatte beobachtet, wie vor dem Absturz der Käptens Liebchen vor der Vernichtung Kassaforts – ein Shuttle aus der Amnion-Sektion startete. In diesem Shuttle mußte er gesessen haben.
Durch seine Anwesenheit wurde die Absicht der Stiller Horizont verhängnisvoll offensichtlich.
Min Donner bemerkte Morns und Davies’ Reaktion, sah jedoch davon ab, Hashi Lebwohl zu unterbrechen.
»Dies Individuum behauptet von sich«, sagte der DA-Direktor, »mit ›Entscheidungsbefugnis ausgestattet‹ zu sein. Eine drollige Ausdrucksweise. Obwohl er die Erde aus einem Entschluß angeflogen hat, räumt Vestabule die Unhaltbarkeit seiner Position ein. Er mag uns allen erdenklichen Schaden zufügen, aber der letztendliche Untergang der Stiller Horizont ist unabwendbar. Und je länger das Gefecht aufgeschoben wird, um so weniger Unheil kann er vor der eigenen Eliminierung noch anrichten. Auf alle Fälle bleibt ein Großteil unserer Kapazität zu Gegen- und Vergeltungsschlägen bestehen. Die eventuellen Folgen eines Kriegsausbruchs könnten schwerwiegender sein, als die Amnion zu verkraften imstande sind. Weil dieser Marc Vestabule früher Mensch war, erhebt er den Anspruch, noch heute in menschlichen Kategorien denken zu können. Und er gibt an, es existiere etwas, ein nicht näher bezeichneter Streitpunkt, von dem die zukünftigen Beziehungen zwischen der Menschheit und den Amnion abhängen und der sich nur durch persönliche Verhandlungen beilegen ließe. Unter Androhung der Atomisierung Suka Bators und des VMKP-HQ hat er gefordert, daß Warden Dios ihn an Bord seines Raumschiffs aufsucht, um diese Sache mit ihm zu ›diskutieren‹.«
Für einen Moment erregte Hashi Lebwohl den Eindruck wieder stärkerer geistiger Präsenz; sein Tonfall verschärfte sich. »Marc Vestabule hat unerwähnt gelassen, welche Angelegenheiten ihn umtreiben, aber Sie kennen sie so gut wie ich. Auf jeden Fall ist Warden Dios im Bilde.« Danach jedoch überkam ihn neue Zerstreutheit. »Aufgrund dessen – neben anderen Beweggründen – hat er Vestabules Forderung erfüllt. Es ist Polizeipräsident Dios’ Verpflichtung, Blutvergießen und Zerstörungen nach Möglichkeit abzuwenden. Und er hofft, daß er einen unverzüglichen Angriff des
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