Amnion 5: Heute sterben alle Götter
Talent zu Verzweiflungsschritten, einen Hang zu Extremlösungen, und dafür bewunderte Dolph ihn widerwillig. Als Thermopyle erläutert hatte, wie er Warden Dios zu retten gedachte, war der Kapitän der Rächer der erste gewesen, der seine Idee befürwortete. Trotz der Gefährlichkeit des Vorhabens hatte es Dolph Ubikwe ungetrübtes Vergnügen bereitet, dem unifizierten, maliziösen Mörder und Vergewaltiger seine vorbehaltlose Unterstützung anzubieten.
Jetzt bediente er allein an der Kommandokonsole sämtliche Funktionen, die im Modul noch versehen werden mußten: Steuerung, Scanning, Datensysteme und Kommunikation. Dafür bedurfte er keiner Hilfe. Alle anderen Konsolen waren deaktiviert. Das Kommandomodul allein gab kaum mehr als ein Shuttle ab, so reduziert waren die Verwendungsmöglichkeiten. Trotzdem sah Kapitän Ubikwe keinen Anlaß zur Klage. Das Raumfahrzeug war klein, aber er hatte das Kommando; Angus Thermopyle hatte es an ihn abgetreten, und vorerst gab Dolph sich damit zufrieden.
Vielleicht erahnte Thermopyle den piratenähnlichen Ansatz von Dolphs Verständnis der polizeilichen Praxis. In einer Lage wie der momentan konnte der Cyborg Dolph rundum vertrauen.
Als auch das letzte Diagnoseprogramm Grünstatus anzeigte, sah sich Ubikwe nach seinen Begleitern um. »Jesus Christus«, brummte er belustigt, »hätte meine Mutter, Gott hab sie selig, gewußt, daß ich eines Tages in derartigen Knatsch verwickelt werde, sie hätte mich sofort nach der Geburt ertränkt. Nur gut, daß sie die Zukunft nicht gesehen hat. Ein Blick auf die Hühnerinnereien, und sie wäre ausgeklinkt. Wahrscheinlich hätte man sie in Ketten legen müssen, um zu verhindern, daß sie auch noch meinen Vater umbringt.«
Weder Davies Hyland noch Vector Shaheed lachte. Ihnen drohte zu großes Unheil, als daß sie für Scherze empfänglich gewesen wären; mißlang irgend etwas, mußten sie als erste für die Panne büßen. Dennoch zwang sich der Genetiker zu einem verzerrten Schmunzeln. »Ihre Mutter muß wohl, wenn Sie die Bemerkung gestatten, Kapitän«, meinte er zu Ubikwe, »eine außergewöhnliche Frau gewesen sein.«
»Sagen Sie, was Sie wollen«, gestand Dolph ihm großmütig zu. »Von nun an gibt’s keine Regem mehr. Jede Gemeinheit und jeder schmutzige Trick ist erlaubt. Höflichkeit kostete nur unnötig Kraft.« Im nächsten Moment wurde er wieder ernster. »Haben Sie alles«, fragte er, »was Sie brauchen?«
Vector Shaheed hatte im Pilotensitz Platz genommen. Davies Hyland saß im verlassenen Sessel des Waffensysteme-Offiziers. Beide trugen bereits EA-Anzüge, nur Helm und Handschuhe hatten sie noch nicht an. Shaheed stellte eine ruhige, aber matte Miene zur Schau: ausgelaugt durch Ermüdung und die ständigen Beschwerden schwerer Arthritis. Er gönnte sich möglichst viele kurze Pausen, um seine Kräfte zu schonen.
Davies Hyland hatte noch vor einer Weile den Eindruck vermittelt, er wäre durch die seelische Belastung, die die Entscheidung zum Aufgeben für ihn bedeutete, vollkommen erschöpft worden. Doch inzwischen hatte seine Miene einen beträchtlichen Teil der Ausdruckskraft zurückerlangt. Sein Blick war wieder schärfer; seine Gesichtszüge wirkten in ihrer Deutlichkeit wie erneuert; er schenkte seiner Umgebung neue Aufmerksamkeit. Paradoxerweise schien er dadurch beiden Elternteilen gleichermaßen ähnlicher zu werden. Er hatte sowohl Angus Thermopyles berechnendes Wesen wie auch Morn Hylands Anlage zu innerer Überzeugung geerbt: Auch er kannte eine Neigung zu extremen Lösungen.
Er beantwortete Dolphs Frage nicht mit Worten. Vielmehr ergriff er den linken Handschuh, langte hinein und holte eine der Waffen heraus, die Thermopyle ihm mitgegeben hatte: einen Meter Monofaserstrang, mit einem Gewicht an beiden Enden und verkrustet mit scharfkantigem Polysilikatgranulat – ein Werkzeug, das man normalerweise benutzte, um in beengten Verhältnissen Stahl zu sägen. Anschließend öffnete er eine Gürteltasche und zeigte einen Streifen starren, zu einem Dolch zugeschliffenen Plastiks vor. Nach Thermopyles Angaben sollten diese Behelfswaffen unbemerkt bleiben, wogegen wirksamere Waffen – zum Beispiel Schießeisen – auffallen müßten.
Davies Hyland steckte den Strang zurück in den Handschuh, schloß die Gürteltasche und überließ es Vector Shaheed, sich nach Belieben zu Dolphs Frage zu äußern.
Auch Shaheed hatte einen Dolch dabei; allerdings sah er ihn offenbar als unwichtig an. Statt dessen hob er ein
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