Amnion 5: Heute sterben alle Götter
Singularitätsgranaten einsetzt. Und angesichts der Bestürzung Mikkas hatte er ihr entgegengehalten: Du ahnst ja nicht, wie es ist zu wissen, daß du alle Menschen ermorden mußt, die du gern hast. Morn allerdings kannte sich damit aus. Doch Ciro hatte als Beispiel Angus angeführt. Aber er hat ’ne Ahnung.
Ciro war seinerseits von Angus verteidigt worden. Ciro arbeitet jetzt für mich. Angus hatte behauptet: Keiner von euch versteht, was Sorus Chatelaine mit ihm angestellt hat. Und als sähe er in seiner Vereinnahmung Ciros einen Akt des Mitleids, der Brücke vorgehalten: Anstatt ihn in die Ecke zu stellen wie einen Deppen, gebe ich ihm was zu tun.
In diesen Augenblicken war Mikka durch Beklemmung daran gehindert worden, Angus zu widersprechen. Oder sich ernsthaft mit ihm anzulegen. In ihrer Betroffenheit hatte sie keine Anstrengung unternommen, um ihm den Hals umzudrehen. Und vielleicht hatte sie wirklich nichts begriffen gehabt. Später jedoch, während sie die Waffensysteme-Funktionen der Rächer überwachte, sie die brutalste Selbstdisziplin aufwandte, um wenigstens diese kleine Aufgabe zu erfüllen, weil alles andere sie überforderte, war ihr allmählich die Einsicht gedämmert.
Angus hatte recht. Ciros Elend war schlimmer als Morns Unheil.
Letzten Endes war es nicht die Tatsache gewesen, daß die Kapitänin der Sturmvogel ihm ein Mutagen eingespritzt hatte, durch die Ciros Geist gestört worden war, sondern die eigene, vom Schrecken hervorgerufene Zwanghaftigkeit. Nachdem er gestanden hatte, was ihm von ihr angetan worden war – und nachdem Vector seine Körperzellen vom Mutagen gesäubert hatte –, nutzte er trotzdem die erstbeste Gelegenheit, um ihr zu gehorchen: die Antriebsanlagen der Posaune zu sabotieren. Zu dem Zeitpunkt mußte er noch geglaubt haben, es sei nötig. Er war kein Genetiker; sämtliche Beweise, die Vector ihm gezeigt hatte, um ihn von seiner Rettung zu überzeugen, waren wahrscheinlich zu abstrakt gewesen, um die Furcht aufzuwiegen. Gegen seinen Willen mußte er mit dem Gefühl an Sorus Chatelaines Drohung mehr als an Vectors Aussagen geglaubt haben.
Aber danach waren die Stunden verstrichen, ging das von Sorus Chatelaine ausgehändigte Gegenmittel aus; und doch war er Mensch geblieben. Und da hatte sein Geist einen Knacks erlitten. Die Erkenntnis der eigenen Schwäche war für ihn zuviel gewesen. Der Tod, dessen Namen er jetzt wußte, bedeutete für ihn eine Art von Wiedergutmachung.
Mittlerweile verstand Mikka ihn; sie wäre selbst mehr als bereitwillig gewesen zu sterben, hätte irgend jemand ihr eine Chance zum Ausgleichen des Unsegens gegeben, den sie Ciro beschert hatte, als sie ihn an Bord der Käptens Liebchen mitnahm; indem sie ihn Nick Succorso vorstellte.
Aus diesem Grund erklärte sie sich dazu bereit, als Morn und Angus mit dem Wunsch an sie herangetreten waren, die Kommandokonsole der Posaune zu bedienen. Wer sollte ihr diese Aufgabe abnehmen? Angus, Morn und Davies hatten allesamt andere Rollen zu spielen. Und niemand kannte sich mit dem Interspatium-Scout so gut wie Mikka aus.
Aus demselben Grund hatte sie, sobald sie die Posaune betrat, das Krankenrevier aufgesucht und sich vom Medi-Computer sämtliche verfügbaren Anregungs- und Aufputschmittel zuteilen lassen: Weckamine und Hype, Koffeintabletten und Pseudoendorphin-Konzentrat. Die Schwäche hatte sich bei ihr geradeso tief wie bei Ciro in Mark und Bein festgesetzt. Kraft und Mut waren ihr dahingeschmolzen: Die Bürde ihrer Hinfälligkeit lastete zu stark auf ihr, um ohne Medikamente und Drogen getragen zu werden. Alles, was Angus mit sich und Ciro, Davies und Vector, dem Kommandomodul und der Posaune im Sinn hatte, wäre vergeudeter Aufwand, sollte es ihr mißlingen, auf dem Posten zu bleiben.
Weil sie ihren Bruder so gut verstand, schickte sie sich an, ihm beim Selbstmord Beihilfe zu leisten.
Genau wie Angus hatte er schon den EA-Anzug angelegt, obwohl es damit keine Eile hatte; der Flug zum Amnion-Kriegsschiff ließ ihnen genug Zeit. Nur sein Kopf war noch unbedeckt: Der Raumhelm lag neben Angus’ Helm auf dem Andrucksessel des Ersten Offiziers, während er auf der Brücke umherwanderte und leise vor sich hinpfiff. Mikka erkannte die Melodie: Sie gehörte zu einem Gutenachtliedchen aus ihrer gemeinsamen Kindheit, als ihre Mutter noch lebte und ihnen bisweilen vorsang.
Bei seinem Gepfeife wäre sie am liebsten in gellendes Geheul ausgebrochen.
So lange sie es durchhalten konnte, beschäftigte sie sich
Weitere Kostenlose Bücher