Partnerin wider Willen
1.
» H ast du ein Glück, Kollegin. Gleich in der zweiten Woche ’ne Wasserleiche.«
Ellen hob missbilligend die Augenbrauen und streifte Marco Fabian mit einem düsteren Seitenblick. »Du hast aber eine merkwürdige Vorstellung von Glück.« Sie ging neben ihrem jüngeren Kollegen in die Hocke, um den leblosen Körper vor ihnen näher zu beäugen. Von Marcos verunglückter Begrüßung mal abgesehen – für das verschlafene Perleberg mochte ein aus dem Wasser gefischter Toter ja etwas Ausgefallenes sein. Für sie, Ellen Reuter, bis vor kurzem noch Ermittlerin in der Hauptstadt, stellte ein Leichenfund nichts Außergewöhnliches dar.
Ellen seufzte in sich hinein.
Perleberg. Sie hatte es gegoogelt, als sie ihren Versetzungsbescheid bekam. Kreisstadt in der Prignitz, 12.500 Seelen. Trotz stetig schwach fallender Einwohnerzahl regionaler Wachstumskern. Arbeitsmarkt erstaunlich gut entwickelt, historische Altstadt, attraktive Natur, medizinische Versorgung gut. Es hätte wohl schlimmer kommen können.
Neben ihr hob Marco das Jackenrevers des Toten an, tastete die Innentasche ab und zog triumphierend eine Brieftasche hervor. Er schraubte sich aus der Hocke hoch. »Nicht, dass da Irrtümer aufkommen. Wir haben es sonst durchaus auch mit anderem zu tun als Falschparkern und betrunkenen Discogängern«, stellte er klar, während er einen Führerschein zutage förderte. »Karl Kessler, geboren 30.4.1953«, las er laut vor und kratzte sich seinen permanenten Dreitagebart, durch den sein Gesicht einen gewissen verwegenen Touch bekam. »Den Namen kenne ich. Ist ’n ziemlich reicher Sack, hat Einfluss in der Stadt.«
»Na, dann kannst du ja in Windeseile die Adresse ermitteln.« Ellen fühlte die restlichen Taschen an Jacke und Hose des Toten ab und fand sein Handy. Sie stand auf. Mit einem Wink bedeutete sie einem der Techniker, das Gerät einzutüten. »Ich geh mal rüber zu den Kollegen und frag nach, wer den Fund gemeldet hat«, gab sie Marco Bescheid. »Wenn die Person greifbar ist, befrag ich sie.« Sie ging zu den beiden Beamten an der Absperrung. Die hatten alle Hände voll zu tun, neugierige Zuschauer fernzuhalten.
»Bitte gehen Sie weiter«, forderten die Beamten immer wieder die Leute auf, die an diesem Ostermontag an der Uferpromenade die Stepenitz entlangspazierten und von dem ungewöhnlichen Szenario angelockt wurden. Neugier war überall gleich, stellte Ellen bitter fest. Ob Hauptstadt oder irgendwo im Nirgendwo. Allerdings wäre ihr die Hauptstadt lieber. Leider hatten die Umstände es anders gewollt und sie hierher verschlagen.
Das volle, warme Dröhnen eines Motors lenkte Ellen von ihren Betrachtungen ab. Sie wandte den Blick in Richtung des Brummens und ordnete es einer Yamaha Cruiser zu. Der Fahrer stoppte seine Maschine wenige Meter neben der Menschentraube mitten auf der Promenade. Lässig klickte er den Abstellbügel hinunter. Irgendetwas irritierte Ellen beim Anblick des Fahrers, und einen Moment später wusste sie auch, was es war: Die schlanke Gestalt. Sie passte nicht zum Kraftimage eines Bikers. Das lange, wellige Haar, das unter dem Helm hervorquoll, hingegen schon – und auch wieder nicht. Es fiel jetzt, da er den Helm abhob, in dunklen Locken weich und natürlich über die schmalen Schultern, die in einer tailliert geschnittenen Lederjacke steckten. Spätestens jetzt, da die rechte Hand zum Nacken griff, unter die Haare glitt und sie aufschüttelte, wobei der Kopf in einer halbkreisähnlichen Bewegung schwang, stand für Ellen außer Frage: Der Biker war eine Bikerin. Ihr Blick glitt weiter an der Gestalt hinab, zu den eindeutig weiblich geformten Hüften und Beinen, die in einer eng anliegenden Jeans steckten. Na, immerhin gab es im Nirgendwo auch was fürs Auge, schoss es Ellen durch den Kopf.
Jetzt drehte sich die Bikerin um. Ihre Gesichtszüge waren ebenso schmal wie der Rest der Person, und für einen Moment kreuzte der Blick der Frau den Ellens. Ellen kam es so vor, als verharre die Fremde für eine halbe Sekunde. Oder war es Einbildung? Die Frau kam nun schnurstracks auf die Absperrung zu und unterquerte sie, ohne sich um die Beamten zu kümmern, die ihr hinterherriefen und sie aufforderten, zurückzukommen. So zielsicher ging die fremde Frau auf Marco Fabian und die Leiche zu, dass Ellen für einen Moment glaubte, sie sei eine Kollegin, die es nur zu eilig hatte, um sich den Beamten auszuweisen. Doch plötzlich hielt die Frau eine kleine Digitalkamera in der Hand und begann
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