Amnion 5: Heute sterben alle Götter
hintertreiben.«
»Mein Gott«, murmelte der Sicherheitschef vor sich hin. »Ein Anfall kluger Einsicht. Ich kann’s nicht glauben.«
Hashi Lebwohl verzichtete auf eine Antwort. Es konnte sein, daß er Mandichs Bemerkung gar nicht gehört hatte. Er nahm die Brille ab, ließ sie an einem Finger baumeln und rieb sich mit dem Handballen die Augen, als versuchte er den Blick zu klären.
Vage erinnerte sich Lane Harbinger an den Kaffee, der vor ihr stand. Sie hob ihn an den Mund – aus erstaunlicher Tiefe, wie es schien – und leerte den Becher. Verdammt, der Kaffee war schon kalt. Sie brauchte etwas Heißes, um wach zu bleiben. Also füllte sie den Becher nach.
Mit der Verwirklichung dieses Vorhabens gelangte sie lediglich bis zum Ausdrücken ihres Nik-Stummels und dem Anzünden einer weiteren Nik. Danach hatte sie schon vergessen, was sie tun wollte.
Hashi Lebwohl hatte die Brille von neuem aufgesetzt. »Na gut«, sagte er, als Harbingers Blick wieder auf ihm ruhte. »Wenn sie das Recht für sich beansprucht zu bestimmen, wann wir mit dem Regierungskonzil sprechen, nehme ich für mich das Recht in Anspruch festzulegen, wer für uns spricht.« Er straffte die Schultern. »Ans Mikrofon, Lane.« Er zeigte auf ihre Computerkonsole. »Sobald Direktorin Donner uns die Funkverbindung herstellt, kontaktieren Sie Direktorin Hannish.«
Lane Harbinger fiel beinahe um. Ihre Thermoskanne fiel wirklich, entglitt ihren auf einmal tauben Fingern und knallte auf den Fußboden. Hatte sie die Nik auch verloren? Es mußte so sein. Sie hatte sie in keiner von beiden Händen. Sie hatte nicht mehr das beruhigende Gefühl des Nuckelns zwischen den Lippen.
Plötzlich rannen ihr Tränen übers Gesicht.
»Nein«, stöhnte sie. »Bloß das nicht, Direktor Lebwohl, bitte. Ich kann nicht. Ich bin zu…«
Schlagartig wurde ihr klar, welche Art von Genugtuung sie sich wünschte. Sie wollte dasitzen und zuhören, während jemand anderes die Resultate ihrer Arbeit verwendete, um etwas Entscheidendes zu tun. Nahm sie diese waghalsige Aufgabe selbst auf sich, ging alles in die Binsen.
»Sie spinnen doch, Lebwohl«, behauptete Mandich. »Sehen Sie sie sich mal an. Sie kann kaum noch auf den Beinen stehen.«
»Sie müssen«, beharrte Lebwohl trotz ihrer Tränen. »Ich bin, was Min Donners Verhalten angeht, aufs Raten angewiesen. Allerdings kann ich mir vorstellen, daß sie an unsere Glaubhaftigkeit denkt. Vielleicht hofft sie, daß wir einen Moment erwischen, in dem das Regierungskonzil für unsere Beweisführung besonders aufgeschlossen ist. Aber wenn darauf Rücksicht genommen werden muß, ist es auch ratsam, sich zu fragen, wie die Beweise am vorteilhaftesten präsentiert werden. Und ich bin ja…«
Er verstummte. Einige Augenblicke lang konnte er nicht mehr sprechen. Er mußte näher treten, sich dicht vor sie stellen, ehe er es schaffte, den Satz zu beenden.
»Ich bin diskreditiert, Lane.« Sie hatte den befremdenden Eindruck, daß er sich erniedrigte, für Wichtigeres ein Opfer brachte. »In letzter Zeit habe ich zu viele Verlautbarungen abgegeben, die das Regierungskonzil jetzt als Unwahrheiten einstufen muß, und GOD Cleatus Fane würde diese Blöße sofort nutzen. Zweifellos sieht man in mir einen Handlanger Warden Dios’, der seinen Machenschaften und nicht der Wahrheit dient. Hat er Verrat begangen, gilt das gleiche für mich. Diese Argumentation wäre der Wirkung unserer Beweise stark abträglich. Und Sicherheitschef Mandich ist durch seine allgemein bekannte Nibelungentreue zur Operativen Abteilung ähnlich ungeeignet für diese Aufgabe.«
Mandich furchte über diese Aussage die Stirn, aber widersprach ihr nicht.
»Die Wahrheit« – Lebwohl äußerte das Wort, als riefe es ihm Unbehagen hervor – »wird überzeugender sein, wenn man sie von Ihnen erfährt.«
Es mochte sein, daß er recht hatte. Oder nicht. Lane Harbinger hatte keine Ahnung. Dennoch leuchtete der Sinn seines Appells ihr ein. Der bloße Gedanke, die Konzilsparlamentarier könnten es ablehnen, die Wahrheit zu glauben, nur weil sie sie von Lebwohl hörten, war mehr, als sie zu verkraften vermochte. Die einzige Eigenschaft, die sie an sich selbst schätzte, auf die sie Stolz verspürte, war ihre Befähigung, sich durch Trümmer und Schutt der Fakten zu wühlen, bis sie den festen Boden der Tatsachen wiederfand. Und sie respektierte Hashi Lebwohl, nicht weil er, wie sie zugeben mußte, ein brillanter Denker war, sondern weil er diesen Teil ihrer selbst niemals
Weitere Kostenlose Bücher