Amnion 5: Heute sterben alle Götter
bereiten. Keine solche Sorge, daß sie als als ratsam einschätzte, die Stiller Horizont vorzuwarnen.
»Dahinter verbirgt sich typisch menschliche Heimtücke, Warden Dios«, erklärte Vestabule ohne sonderliche Betonung. »Es mag sein, daß diese Min Donner die Absicht hat, uns zu betrügen. Oder daß Morn Hyland eine List plant, um uns Schaden zuzufügen. Glauben Sie mir, daß wir im Fall eines Betrugs oder der Behinderung härteste Gegenmaßnahmen ergreifen.« Er versuchte mit beinahe menschenähnlicher Anstrengung zu betonen, was er verdeutlichen wollte. »Und Sie können mir glauben, daß auch Sie die äußerste Mühe verwenden werden, um sicherzustellen, daß Morn Hyland ihre Versprechungen einhält.«
In diesem Moment wandelten sich Warden Dios gesamtes Entsetzen und alle Verstörtheit in wilde Entschlossenheit um.
Nicht alles war fehlgeschlagen! Wenn Hashi Lebwohl, Koina Hannish und Morn Hyland einen Sieg zu verzeichnen hatten, durfte er noch Hoffnung hegen. Dann konnte er es unterlassen, sich geschlagen zu fühlen, als Opfer; sich wieder wie der Polizeipräsident der VMKP betragen. Min Donner war der Ansicht, daß Holt Fasner den Eindruck hatte, in die Enge gedrängt worden zu sein. Sie machte sich von seiner Seite auf Verzweiflungstaten gefaßt. Nun mußte Dios nur noch auf Angus Thermopyle vertrauen. Und sich selbst möglichst gut aufs Kommende vorbereiten.
»Falls diese Zusagen eingehalten und wir in keiner Weise bedroht werden«, fügte Marc Vestabule hinzu es hatte den Anschein, als ob in seinem Menschenauge Genugtuung glitzerte –, »gewähren wir Ihnen die Option, zu Kapitän Ubikwe an Bord des Kommandomoduls zu gehen.«
»Wie lange, haben Sie gesagt«, erkundigte er sich bissig, indem er Traurigkeit in neue Kraft ummünzte, »bleibe ich dank dieses Mittels Mensch?«
Inzwischen glaubte Warden Dios, daß der Amnioni im Wortsinne die Wahrheit sprach.
Vestabule antwortete sofort. »Eine Stunde.«
Prächtig, schnob Dios bei sich. Lange genug, um an Bord des Kommandomoduls überzuwechseln und abzulegen – vorausgesetzt die Ereignisse verliefen nach Vestabules Wünschen. Dagegen nicht lange genug, als daß Dolph Ubikwe den Polizeipräsidenten irgendwo hinfliegen könnte, wo man ihn möglicherweise rettete.
»Wie viele Kapseln geben Sie mir, wenn ich mich zum Gehen entschließe?«
»Keine.«
Aus irgendeinem Quell seines Innern brachte Warden Dios langsam ein erbittertes Grinsen zustande.
»Dachte ich mir.« Mit einer ruckartigen Hüftbewegung drehte er sich um; er stieß sich von der rauhflächigen Wand ab und schwebte durch den Korridor in Richtung der Parkbucht und der Luftschleuse, wo er die Stiller Horizont betreten hatte. »Kommen Sie. Wir wollen sehen, was wir tun können, um Davies Hyland und Vector Shaheed einen netten Empfang zu bereiten.«
An menschliche Arglist erinnerte sich Marc Vestabule; aber alles übrige, was das Menschsein ausmachte, hatte er vergessen.
ANGUS
Halb im Glanzlicht der Sonnenstrahlen und halb in grellem Scheinwerferlicht kauerte Angus Thermopyle, neben sich Ciro Vasaczk, auf dem Rumpf der Posaune, während Dolph Ubikwe mit dem Kommandomodul der Rächer durch den abschließenden Einflugvektor die Stiller Horizont ansteuerte. Ausgerüstet war er mit nichts als zwei Laser-Schneidbrennern, einem klobigzylinderförmigen Behälter mit Plexulose-Abdichtstoff sowie einem Reserve-EA-Anzug. Die Tatsache, daß er mit dermaßen kläglicher Ausstattung gegen eine Amnion-Defensiveinheit vorzugehen beabsichtigte, hätte ihn zum Lachen gebracht, wäre er darüber nicht selbst hochgradig entsetzt gewesen.
Er fühlte sich völlig ausgedörrt. Schweiß machte das Innere des EA-Anzugs schlüpfrig. Ihm war, als stäke er schon stundenlang in dem Anzug, sähe seit Stunden den unheilschwangermassigen Rumpf der Stiller Horizont die Sterne verdunkeln. Trotz aller Bemühungen der Anzugsysteme zur Regulierung seiner Körpertemperatur schwitzte er bei Externaktivitäten immer wie ein Schwein; nicht einmal die Zonenimplantate konnten diesen vegetativen Reflex wirksam lindern.
Allerdings hatte seine blindlings-rücksichtslose, unvermeidliche Programmierung ihn dazu bewogen, vorm Anziehen des EA-Anzugs wenigstens einen Liter Flüssigkeit zu trinken – eine wichtige Vorsichtsmaßnahme, die sein Menschenverstand normalerweise außer acht ließ. Furcht hatte bei ihm derlei Folgen. Die schiere Weite und Kälte des Weltraums flößte seiner im Kinderbett konditionierten Wahrnehmung
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