Amnion 5: Heute sterben alle Götter
daran eventuell ablesen können, welche Fortschritte Angus Thermopyle bei der Jagd auf Fasner machte. Aber damit hätte er sich überfordert; seine Konzentration war ohnehin schon bis zum äußersten angespannt.
Der Kopiervorgang beanspruchte nur noch zehn Minuten. Das VMKP-HQ rief die VMK-GD unausgesetzt per Funk, bemühte sich um Kontaktaufnahme. In Anbetracht der vom Computer geschätzten Überlebendenzahl hatte die GD einen viel zu geringen Bestand an Kosmokapseln. Wollte Dios mehr als nur einen Bruchteil des Stationspersonals retten, mußte er sich etwas anderes einfallen lassen.
»Falls das alles wahr ist«, fragte Servil einen Moment später mit zittriger Stimme, »wenn sie davon überzeugt sind… warum tun Sie dann nichts, um ihn aufzuhalten?«
»Ich versuche es ja«, erwiderte Warden Dios, »allerdings nicht persönlich. Er läßt diese vielen Menschen im Stich. Irgend jemand muß ihnen doch helfen.«
Er wünschte sich inständig, er wüßte, wo Angus Thermopyle sich jetzt befand.
»Sie benötigen gar keine Hilfe«, erwiderte der Techniker unsicher, »wenn Sie die Station nicht sprengen.«
Warden Dios biß sich auf die Innenseiten der Wangen, um nicht ins Brüllen auszubrechen. »Und was geschieht, tu ich’s nicht? Denken Sie doch mal nach. Benutzen Sie Ihr Gehirn. Also, einmal angenommen, ich sprenge die Station nicht, seine Datensammlungen bleiben alle intakt. Wem würden Sie sie anvertrauen? Sie sind die destruktivste Anhäufung von Informationen im ganzen Human-Kosmos.« Dios selbst wäre vielleicht auf Min Donner zu setzen bereit gewesen doch sogar für sie könnte sich die Verantwortung als zu hochgeschraubt erweisen. »Wem würden Sie eine solche Machtfülle anvertrauen? Das EKRK kommt nicht in Frage, das ist ja wohl klar. Manche Parlamentarier sind ehrlich, andere nicht. Und meine VMKP-Direktoren möchte ich einer derartigen Versuchung ungern aussetzen, weil sich vielleicht herausstellt, daß nicht einmal die aufrechtesten unter ihnen ihr widerstehen könnten.«
Er drückte Tasten, um die Suche nach alternativen Transportmitteln zur Evakuierung der Orbitalstation voranzutreiben. »Ein Verfahren gäbe es«, meinte er zu Servil, während Arbeitsabläufe von Unterprogrammen über seinen Bildschirm flimmerten, »um eine solche Menge an Zündstoff zu entschärfen. Nämlich indem man sie öffentlich aufdeckt. Bis zum letzten Bit. Ohne Rücksicht auf Reputation zehn- oder zwanzigtausend Existenzen ruiniert. Ein paar Firmen und Weltraumstationen schädigt.« Dem Unheil seinen Lauf gewährte, ehe jemand daraus für sich Vorteile schlagen konnte; alle Anhänger und Opfer Holt Fasners gleichzeitig für ihre Fehler büßen ließe. »Aber das geht nicht. Selbst wenn wir alle noch vorhandenen Antennen verwenden könnten« – sämtliche Trichterantennen, die Min Donners Artilleriefeuer nicht weggeschossen oder demoliert hatte –, »dauerte es Wochen, so viele Informationen zur Erde hinabzufunken.«
Holt Fasners Kopiervorgang verlief wesentlich schneller, weil er die Mutterwitz dem Computerverbund der GD direkt angeschlossen hatte.
Plötzlich machte ein Warnlämpchen seiner Computerkonsole ihn auf eine Schadensmeldung aufmerksam. Rein gewohnheitsmäßig sah er nach dem rechten.
Ein kleiner Monitor setzte ihn davon in Kenntnis, daß in Norna Fasners Behausung sämtliche Medizinalapparaturen und sonstigen Systeme die Funktion aufgegeben hatten. Alle, auch die Standleitung ihrer TV-Monitoren. Durch ein Feuer oder eine Explosion war das Innere der Gruft, in der Fasner seine Mutter fast neunzig Jahre lang eingeschreint gehalten hatte, zerstört worden.
So weit war Angus Thermopyle also inzwischen gelangt; diesen Teil seiner Aufgabe hatte er erfüllt.
Gut.
Doch ihm blieb kaum noch Zeit. Wenn der Kopiervorgang beendet war, stand es Holt Fasner frei, von der Orbitalstation abzulegen; die Mutterwitz aus der Parkbucht zu katapultieren, sobald die Rotation des Torus ihm ein günstiges Startfenster in Richtung Fernraum bot. Dann wäre er binnen weniger Minuten auf und davon.
Verbitterung und Druck stauten sich in Dios’ Brust, als ob sich ein Atommeiler der kritischen Masse annäherte. Er hatte sich zuviel vorgenommen; zu viele Versprechen gegeben. Verflucht noch mal, er brauchte Beistand…
»Oder wir löschen sie«, entfuhr es ihm unvermittelt.
Oder er löschte Fasners Daten, statt die Orbitalstation zu sprengen. Das wäre genauso zweckdienlich. Nachteilig wäre allerdings, daß er, Warden Dios, am Leben
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