Amnion 5: Heute sterben alle Götter
muß hier bleiben«, erklärte Warden Dios barsch, »und dafür sorgen, daß alles klappt. Das ist meine Aufgabe.«
Es kostete ihn beträchtliche Selbstbeherrschung, nicht hinzuzufügen: Außer Sie möchten mitansehen, wie ich zum Amnioni werde.
Servil nickte. »Da haben Sie wohl recht.« Er rieb sich mit den Handballen die Augen, als wollte er die letzten Spuren des Zweifels und der Bedenken beseitigen. Dann tippte er auf die Tastatur ein.
Während er unablässig Befehle eingab, dem Frachtzentrum Strom und Luft zuführte, sich vom Leerzustand der Erzcontainer überzeugte, die Luken des Frachtraums zum Aufklappen vorbereitete, bewegten seine Finger sich schneller und sicherer. Anschließend projizierte er ein Rotationsdiagramm der Orbitalstation auf den Bildschirm, errechnete die kreisbahnabhängige Relation des Frachtzentrums zum VMKP-HQ und schaltete zu guter Letzt die Sprechanlage ein, um in Holt Fasners Namen über die Stationslautsprecher die Evakuierung der GD anzuordnen.
Obwohl er noch ziemlich jung war, verstand er sich offenkundig auf seine Arbeit.
Warden Dios gestattete es sich, einen Augenblick lang in Erleichterung zu schwelgen, erlaubte sich eine kurze Pause, um den Gewinn auszukosten, den Servils Beistand bedeutete. Mehr Zeit konnte er sich nicht nehmen. Er senkte die Hände erneut auf die Tastatur, befaßte sich mit dem Problem, wie sich eine Selbstvernichtung der VMKP-GD verursachen ließe. Um eine Explosion der Generatoren und Akkumulatoren auszulösen, mußte er eine Rückkoppelungsschleife einrichten, die zur Folge hatte, daß sie ihre Toleranzwerte überschritten. Eigentlich hätte dergleichen unmöglich sein müssen. Weltraumstationen galten als leicht zerstörbare Institutionen; deshalb existierten zahlreiche Sicherheitsvorkehrungen. Unter gewöhnlichen Verhältnissen erwiesen sich Energiegeneratoren und -akkumulatoren als gegen destruktive Einflußnahme gründlich geschützt.
Aber der Beschuß durch Min Donners Artillerie hatte etliche Stationssysteme beschädigt. Einige Schutzeinrichtungen waren defekt; andere funktionierten nicht mehr zuverlässig. Und die Priorität-Rot-Modifikationssperren gaben Dios Zugriff auf Codes, die ihrerseits Barrieren behoben, denen gegenzusteuern ihm normalerweise verwehrt geblieben wäre.
Nicht zuletzt hatte er kürzlich mehrere Stunden darauf verwandt, sich jede bekannte Einzelheit des Bauplans und der Konstruktion der GD einzuprägen; sich auf genau den heutigen Tag und seine Eventualitäten bestens vorbereitet. Wahrscheinlich wußte er viel mehr über die Abläufe in der Orbitalstation als der junge Techniker.
Er konnte es schaffen; eine Detonation herbeiführen, die die Station zerstörte. Keine so starke Explosion, wie er sie gerne gehabt hätte: zu schwach, als daß ihre Stoßwelle auch noch die Mutterwitz – nach ihrem Abflug – hätte erfassen und vernichten können. Doch zumindest ließ es sich machen, ohne Min Donners Raumschiffe zu gefährden.
Wenn er schnell genug arbeitete; ihm keine Fehler unterliefen. Es ihm gelang, die Orbitalstation zu sprengen, bevor als Reaktion auf die Notrufe, die die GD fortwährend aussandte, vom VMKP-HQ oder von anderen Raumstationen Raumfahrzeuge zur Hilfeleistung eintrafen. Seine Hände flitzten über die Tastatur, als hätte er sein Leben lang nichts als die Eingabe von Selbstvernichtungsbefehlen eingeübt.
Wo war Angus Thermopyle? Hatte er Aussicht, die Yacht zu erreichen? In sie einzudringen? Oder kam es dahin, daß er auf der Station festsaß? Warden Dios konnte es nicht voraussehen. Er wünschte, er hätte mit dem Cyborg irgendeine Form der Benachrichtigung vereinbart; eine Methode für Thermopyle, um ihm über Erfolg oder Mißerfolg Bescheid zu geben. Daran jedoch hatte er nicht gedacht.
Wie viele andere wichtige Kleinigkeiten mochte er vergessen haben? Er durfte sich jetzt darüber nicht den Kopf zermartern; sich durch sein inbrünstiges Lechzen nach Holt Fasners Tod nicht ablenken lassen. Er stand am Schlußpunkt seines Lebens. Unter seinen Händen schlossen sich Schaltkreise und Relais, woben Kabel um Kabel in der GD ein Netzwerk des Untergangs. Fasners Datenabspeicherungsvorgang mußte bald zu Ende sein. Der Moment war da, um es anderen Zeitgenossen zu überlassen, die Zukunft der Menschheit zu gestalten. Min Donner und Angus Thermopyle, Morn Hyland und Koina Hannish: Sie mußten nach ihm aufräumen und eventuell von ihm begangene Versäumnisse nachholen.
Servil brauchte wenigstens eine halbe
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