Amnion 5: Heute sterben alle Götter
gönnen, sie nach Wunsch kommen und gehen zu lassen.
Soweit es möglich war, erlaubte man es ihr, ganz für sich ihren Frieden mit ihren Erlebnissen zu machen.
Sie bezweifelte, daß sie jemals wieder Frieden finden würde. Dennoch war sie für Min Donners Rücksichtsnahme sehr dankbar. Echte Privatsphäre hatte auf sie, auch wenn sie keinen Schmerz linderte, eine tröstliche Wirkung. Allerdings hielt sie sich nicht ausschließlich abgesondert. Im Verlauf der zwei Tage seit der Vernichtung der Stiller Horizont und der Explosion der VMKGD hatte sie etliche Stunden lang mit Mikka und Davies beisammengesessen, mit ihnen über das gesprochen, was sie getan hatten, und darüber, wie sie es verkrafteten. Und sie hatte Min Donner soviel Zeit zugestanden, wie die Direktorin wünschte; sich alle Mühe gegeben, um ihr alles zu schildern und zu erklären, damit Donner den Ablauf sämtlicher Ereignisse nachvollziehen konnte.
Worte jedoch spendeten ihr keinen Trost, egal, wieviel die Menschen, die sie äußerten, für sie zählten. Mikkas Mut und Davies’ Hilfsbereitschaft erleichterten ihr die Bürde nicht im geringsten. Glückwunschadressen, Danksagungen und Belobigungen des EKRK, von Koina Hannish, den irdischen Regionalregierungen, Weltraumstationen, sogar bisher zum VMK-Konzern gehörigen Firmen sammelten sich unbeachtet in ihrem Computerterminal. Was sie und die Leute der Posaune geleistet und erreicht hatten, bereitete ihr keinen Triumph; keine Genugtuung. Sie fühlte sich dadurch, wie sie und andere Beteiligte von Warden Dios benutzt worden waren – wie weit er Vertrauen in sie gesetzt hatte –, weder erbittert noch geschmeichelt. Anscheinend half ihr, wenn der Jammer sie überwältigte, nur Alleinsein. Dann gab die Stille der Dienstwohnung ihr Halt, und ehe ihr wieder danach zumute war, wagte sie sich nicht hinaus.
Während dieser zwei Tage lichtete nur eine kleine Neuigkeit das Dunkel ihrer Niedergeschlagenheit. Das VMKP-HQ hatte einen Funkspruch der Mutterwitz empfangen, abgeschickt als Richtstrahlsendung, unmittelbar bevor die Interstellar-Yacht in die Tach überwechselte. Gleich nach Erhalt hatte Min Donner sie Morn zur Kenntnis gegeben.
Dios hat mich damit beauftragt, Fasner unschädlich zu machen, hatte Angus gefunkt. Ich habe seinen Wunsch erfüllt. Aber ich behalte Fasners Raumschiff. Es gefällt mir. Sagen Sie Morn Hyland, Fasner war kein Problem. Alles Schwierige war schon von Dios erledigt worden. Und sagen Sie ihr, ich habe Dios empfohlen, daß er sich wenigstens von ihr verabschieden soll.
Aus Gründen, die sie lieber gar nicht erst hinterfragte, freute es Morn, daß Angus nicht in der GD hatte umgekommen müssen.
Min Donner gewährte ihr einen Moment Zeit, um die Nachricht auf sich wirken zu lassen. »Sie wissen, was das heißt«, bemerkte die befehlshabende Direktorin anschließend. »Angus Thermopyle hat Fasners Daten.«
Nach Angaben eines überlebenden Technikers der GD, eines Manns mit Namen Servil, hatte der Drache seine wichtigsten Datenkompilationen dem Bordcomputer der Mutterwitz kopiert, ehe er aus der Orbitalstation floh.
»Machen Sie sich deswegen Sorgen?« fragte Morn ruhig.
Ohne sonderliche Heiterkeit lachte Min Donner. »Eigentlich nicht. Wir kennen Codes, die ihm das Hirn schmoren können. Darüber weiß er Bescheid. Ich bezweifle, daß er durch den Mißbrauch der Daten unsere Aufmerksamkeit erregen möchte. Und Hashi Lebwohl hat mir versichert, daß Thermopyle auch künftig nicht aus eigenem Willen zur Erde fliegen kann. In mancherlei anderer Hinsicht ist er wieder völlig frei, aber zur Erde läßt sein Data-Nukleus ihn nicht. Dadurch ist das Ausmaß des Schadens begrenzt, den er anrichten könnte.«
Die OA-Direktorin dachte kurz nach. »Aber natürlich hat er mit all diesen Informationen auch ein Druckmittel gegen uns in der Hand«, fügte sie hinzu. »Darum sollten wir es meines Erachtens vermeiden, ihn zu provozieren. Wenn er den Eindruck gewinnt, von uns belästigt zu werden, entschließt er sich womöglich zum Gegenschlag. Insofern ist’s eine Pattsituation. Wir dürften alle besser dran sein, wenn wir uns gegenseitig in Ruhe lassen.«
Es freute Morn, daß Angus noch lebte. Es freute sie sogar, daß er die Möglichkeit hatte, seine Freiheit zu verteidigen. Doch daß er fort war und blieb, erfreute sie am meisten. Endlich konnte sie von dem zerquälten, zerrissenen Teil ihrer selbst ablassen, der trotz allem fortgesetzt an seinem Schicksal Anteil nahm.
Während der
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