Amnion Omnibus
Innern. »Ist es ›gut genug‹«, fragte er und ballte die Fäuste, »wenn er Ihnen die Raumstation um die Ohren zersprengt?« In den Augen der Frau zeigte sich eine Andeutung von Nässe.
Winzige Lichtfünkchen und Bilder von Monitoren spiegelten sich in ihrem Blick.
»Nur wenn’s rechtzeitig geschieht.« »Dann ermöglichen Sie’s mir, ihm zu helfen«, drängte Angus rasch. »Sagen Sie mir, wo Holt Fasner ist.« Sie lachte ein zweites Mal. »Erst müssen Sie’s mir versprechen.« Ähnlicher konnte ihr Auflachen einem Schluchzen kaum werden. »Geben Sie mir Ihr Ehrenwort. Als Gentleman.« Angus wußte, weshalb sie zögerte; warum sie vor ihm Furcht hatte. Sie wußte zuviel über ihn – und gleichzeitig zuwenig.
Er trat näher, beugte das Gesicht über sie. »Ich bin kein Gentleman«, versicherte er bitter. »Was Ehre ist, weiß ich nicht. Ich kenne nicht einmal Ihren Namen.
Aber ich würde nicht mal ‘n Scheißamnioni in dieser Falle lassen.“
Damit sprach er die reine Wahrheit.
»Sie hassen ihn«, sagte er ihr auf den Kopf zu. »Weil er Ihnen etwas Derartiges angetan hat. Das hält Sie am Leben. Wenn Sie mir jetzt nicht dabei behilflich sind, ihm in die Parade zu fahren, lebt er voraussichtlich in alle Ewigkeit.« Zum erstenmal blickte die Frau ihn geradewegs an.
»Warden Dios hatte recht«, wisperte sie. Feuchtigkeit trübte oder klärte ihren Blick, während sie ihn aus dem Kerker ihres Kinderbetts musterte. »Er hat voll und ganz auf Sie gesetzt. Und dieses Mädchen, Morn Hyland. Ich dachte, es war ein Fehler. Aber ich habe mich geirrt.« Mit einer Stimme, deren Hauchen Angus kaum noch hören konnte, erläuterte sie ihm, wie er zur Parkbucht der Mutterwitz gelangte.
Ohne zu zaudern zog Angus beide Impacter-Gewehre von den Schultern. Kein Anflug von Bedenken oder Skrupeln minderte seine Entschlossenheit, als er die Waffen auf die Apparaturen richtete, die für Fasners Mutter atmeten, ihr Blut zum Zirkulieren nötigten. Im Handumdrehen hatte er die Geräte zerschossen, der Zwangsexistenz der Frau ein Ende bereitet.
Sofort nahmen ihre alten Augen einen Ausdruck des Friedens an, dann erstarrten sie glasig, als die Folter endlich ausgestanden war. Doch dabei ließ Angus es nicht bewenden. Vielmehr feuerte er in dem Raum rundum wie ein Berserker, zerballerte auch den Rest der technischen Einrichtung, zerpulverte die TV-Schirme, bis aus Wänden und Decke Brocken nagelten.
Er hob die Finger nicht von den Sensortasten, bis das Zimmer nur noch Finsternis und Verwüstung war.
Er hatte sein Versprechen gehalten. In gewisser Hinsicht wurde er Warden Dios immer ähnlicher.
Er ließ die Zerstörung hinter sich, stürzte zurück in den Korridor und stürmte vorwärts, um ein zweites Versprechen einzulösen.
WARDEN
Er hatte es nicht weit. Ein paar Lifts mußte er benutzen; ein paar Korridore durchqueren. Ein Verbrechen mußte er noch verüben: die spektakulärste, aber längst nicht ärgste Schandtat seines mißratenen Lebens. Die Stelle, an der er und Angus Thermopyle sich getrennt hatten, lag näher an der VMK-GD-Stationszentrale als an Norna Fasners Aufenthaltsort. Wahrscheinlich blieb Thermopyle weniger Zeit als Dios. Allerdings bewegte sich der Cyborg viel schneller fort. Und er tötete unbekümmerter.
Trotz allem legte dagegen Warden Dios nach wie vor darauf Wert, so wenig Menschen wie möglich umzubringen.
Die VMK-GD-Stationszentrale verkörperte in Fasners Machtzentrum nicht den eigentlichen Dreh-und Angelpunkt. Aber die Codes der Priorität-Rot-Modifikationssperren gewährten Dios von jeder Konsole des GD-Computerverbunds aus Zugriff auf Fasners Datenbanken. Und die Stationszentrale hatte weitere Mittel zur Verfügung; bot Möglichkeiten, die er dort besser als an einem entlegenen Terminal nutzen konnte. Zudem hoffte er auf Hilfe. Wenn es ihm nicht gelang, wenigstens einen Stationszentralentechniker zu überreden oder zu zwingen, ihm behilflich zu sein, mußte sich die Ausführung seines letzten Verbrechens erheblich schwieriger gestalten. Dann stürben noch sehr viele Menschen… Er lief in gleichmäßiger Geschwindigkeit, ohne sich zu überanstrengen; versuchte ein Gleichmaß an Schnelligkeit und Vorsicht zu bewahren. Es wäre unbeschreiblich kläglich, würde er nun hier, nachdem er so vieles zustandegebracht hatte, von irgendeinem unbekannten BS-Angehörigen in letzter Minute abgeknallt. Doch er begegnete keinen Wachen. Die wenigen Leute, die ihm über den Weg liefen, waren unbewaffnet
Weitere Kostenlose Bücher