Amnion Omnibus
Codes, die ihm das Hirn schmoren können. Darüber weiß er Bescheid. Ich bezweifle, daß er durch den Mißbrauch der Daten unsere Aufmerksamkeit erregen möchte. Und Hashi Lebwohl hat mir versichert, daß Thermopyle auch künftig nicht aus eigenem Willen zur Erde fliegen kann. In mancherlei anderer Hinsicht ist er wieder völlig frei, aber zur Erde läßt sein Data-Nukleus ihn nicht. Dadurch ist das Ausmaß des Schadens begrenzt, den er anrichten könnte.« Die OA-Direktorin dachte kurz nach. »Aber natürlich hat er mit all diesen Informationen auch ein Druckmittel gegen uns in der Hand«, fügte sie hinzu. »Darum sollten wir es meines Erachtens vermeiden, ihn zu provozieren. Wenn er den Eindruck gewinnt, von uns belästigt zu werden, entschließt er sich womöglich zum Gegenschlag. Insofern ist’s eine Pattsituation. Wir dürften alle besser dran sein, wenn wir uns gegenseitig in Ruhe lassen.“
Es freute Morn, daß Angus noch lebte. Es freute sie sogar, daß er die Möglichkeit hatte, seine Freiheit zu verteidigen. Doch daß er fort war und blieb, erfreute sie am meisten. Endlich konnte sie von dem zerquälten, zerrissenen Teil ihrer selbst ablassen, der trotz allem fortgesetzt an seinem Schicksal Anteil nahm.
Während der übrigen Zeit, bevor sie ihre Aufmerksamkeit der EKRK-Sitzung schenkte, bedeutete es ihr eine gewisse Abhilfe – eine Art von Schutz –, allein zu sein. Das Schloß an ihrer Tür bewahrte sie vor den Konsequenzen ihrer Leidensgeschichte, solange sie sich darauf beschränken mußte, neuen Mut zu sammeln.
Kurz nachdem die Rächer am VMKP-HQ anlegte, war Morn durch Min Donner darüber informiert worden, daß Warden Dios ihr vor seinem Tod eine Nachricht geschickt hatte. Auch an Donner hatte er einen elektronischen Abschiedsbrief versandt – und ebenso an Hashi Lebwohl. Morn konnte die Mitteilung an ihrem Computerterminal lesen, wann sie wollte; bisher jedoch hatte sie darauf verzichtet. Zwei Tage lang hatte sie sich eingeredet, daß nichts, was Warden Dios ihr zu übermitteln gehabt hatte, jetzt noch einen Unterschied ausmachte. In Wahrheit aber brauchte sie von ihm genauso Abstand wie vom EKRK und dem Großteil des VMKP HQ. Sie befürchtete, daß der Brief die brüchige Trennwand einriß, die bislang verhinderte, daß ihr Gram in einen Zusammenbruch mündete.
Nach diversen Formalitäten leitete Konzilspräsident Len die Sitzung ein, indem er kurzgefaßt die Geschehnisse nach dem Eindringen der Stiller Horizont ins Sonnensystem schilderte. Die gesamte verwickelte Konzernstruktur der VMK war ins Wanken geraten, erläuterte er, und daraus entstanden verheerende Nachwirkungen für die Finanzwirtschaft der ganzen irdischen Gesellschaft; dagegen waren die Verluste an Menschenleben gering geblieben. Die Mehrzahl der Toten hatte es durch den von befehlshabender Direktorin Donner befohlenen, unbedingt notwendigen Artilleriebeschuß der VMK-GD sowie durch Dios’ im Vergleich dazu fragwürdigere Sprengung der Orbitalstation gegeben. Finanzangelegenheiten konnte man in Ordnung bringen, und das sollte geschehen. In Anbetracht der vielen Gefahren, die vom Planeten abgewendet worden waren – dank Taten nahezu unvorstellbarer Tapferkeit und immensen Ideenreichtums –, mußte die Rede von einem wahrlich kolossalem Glücksfall sein.
Andere Sachverhalte lieferten Anlaß zu ernsterer Besorgnis. Len vertrat die feste Überzeugung, daß die Stiller Horizont vor dem Anflug zur Erde mit dem Bannkosmos in Kommunikation gestanden hatte. Deshalb kannten die Amnion nach seiner Ansicht Vector Shaheeds Antimutagen-Formel. Und darum war es nur eine Frage der Zeit, bis die Formel keinen Wert mehr hatte.
Wenigstens die Entwertung der Formel hatte Morn sich inzwischen verziehen. Lange bevor Vector die Formel ins All hinausgefunkt hatte, mußten die Amnion sie aus der Untersuchung von Morns Blut abgeleitet haben.
Im Interesse des eigenen Überlebens hatte sie ihre Spezies als Ganzes in Gefahr gebracht. Aber sie war Mensch geblieben. Ihre einzige Alternative war Kapitulation gewesen: eine Art von Selbstzerstörung. Doch sie hatte sich unterdessen zu der unerschütterlichen Auffassung durchgerungen, daß die Suche nach einem vernünftigeren Ausweg höheren Rang als die Geheimhaltung von Nick Succorsos Antimutagen einnahm.
Einige EKRK-Parlamentarier, erwähnte Konzilsvorsitzender Len, hatten die Absicht, sich dafür einzusetzen, daß die Menschheit gegen die Amnion einen Vernichtungsschlag führte, solange die
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