Amok: Thriller (German Edition)
erst nach dem Tod ihrer Mutter von mir. Da war sie bereits mit Keith verheiratet. Als sie die Anzeige sah, in der ich einen Pächter für die Farm suchte, dachte sie, das wäre die ideale Gelegenheit … nun ja, mich aus der Ferne zu beobachten, nehme ich an.«
»Wann hat sie es Ihnen gesagt?«, fragte Julia.
»Vor ungefähr zwei Jahren. Nach dem Zwischenfall mit Carl. Keith hatte sich nicht sonderlich mitfühlend gezeigt. Wir unterhielten uns eines Tages darüber, als sie aus heiterem Himmel damit herausplatzte.« Er zuckte mit den Achseln. »Danach verbrachten wir mehr und mehr Zeit miteinander, meist dann, wenn Vanessa in London war. Wir achteten sehr darauf, dass niemand etwas mitbekam, weil Laura sich nicht sicher war, wie Keith auf die Neuigkeit reagieren würde. In ihrer Ehe kriselte es ohnehin schon.«
»Warum haben Sie Vanessa nicht einfach die Wahrheit gesagt?« Noch während sie sprach, erinnerte Julia sich an etwas, was Craig ihr gesagt hatte. »Sie konnte keine Kinder bekommen.«
George sah sie verwundert an. »Das stimmt. Wir hatten alles versucht, was damals möglich war, aber ohne Erfolg. Sie hatte schreckliche Komplexe deswegen, und ich glaube, dass es über alle die Jahre immer an ihr genagt hat. Zu erfahren, dass ich eine Tochter hatte, wäre ein furchtbarer Schlag für sie gewesen. Ich zermarterte mir immer noch den Kopf darüber, wie ich es ihr beibringen sollte, als bei ihr der Krebs diagnostiziert wurde.«
Er schniefte und wandte sich einen Moment von ihr ab. »Ich war ein entsetzlicher Feigling«, sagte er. »Ich beschloss, dass es das Beste wäre, gar nichts zu sagen. Ich hatte vor, nach Vanessas Tod Laura die finanzielle Unterstützung zu geben, die sie brauchte, um sich von Keith zu trennen, und ich wollte auch Megans Ausbildung finanzieren.«
Er brach ab, als ihm ein Schluchzer entwich. Julia trat auf ihn zu, nahm seine Hand und drückte sie. Er sah sie an, seine Züge von Kummer verzerrt, seine Wangen feucht von Tränen.
»Es war ein entsetzlicher Fehler, und er hat so viele Menschen das Leben gekostet. Wenn Megan nicht wäre, ich hätte wohl nicht den Willen weiterzumachen.«
Julia sagte nichts. Sie drehte sich um, als sie hinter sich ein Geräusch hörte. Craig war aus dem alten Schulhaus getreten und kam mit sorgenvoller Miene auf sie zu. Sie winkte ihn weg.
George putzte sich die Nase und fasste sich wieder. Er sah auf seine Uhr und nickte, als ob er fände, dass er schon mehr als genug gesagt hatte. Doch bevor sie auseinandergingen, hatte Julia noch eine letzte Frage.
»Was wird jetzt aus dem Dorf?«
Er zuckte mit den Achseln. »Nichts bleibt für immer so, wie es ist. Ich kann nicht garantieren, dass Chilton nicht den Baulöwen in die Hände fallen wird …« Er legte ihr die Hand auf die Schulter und drückte sie kurz, aber kräftig. »Aber solange ich atme, wird das nicht passieren.«
Er küsste sie auf beide Wangen und wünschte ihr alles Gute. Julia sah ihm nach, als er über den Rasen ging und in der Hurst Lane verschwand. Dann drehte sie sich um und ging zu Craig, der unter der Eibe stand. Seine Miene war unverändert besorgt.
»Das da ist gerade gekommen«, sagte er.
Er drückte ihr eine Ansichtskarte in die Hand, die einen spektakulären Vulkanausbruch auf der Insel Montserrat zeigte. Sie drehte sie um und las die Rückseite. Die Karte war an sie adressiert, c/o Altes Schulhaus, Chilton. Die Handschrift war sauber und eckig, und sie kam ihr nicht bekannt vor. Der Text war kurz und bündig:
Eines Tages werden unsere Wege sich wieder kreuzen.
Bis dahin … bleiben Sie mir zuliebe am Leben.
Viel Glück dabei.
Ihr Lachen kam für Craig völlig überraschend. Er starrte sie an, als hätte sie den Verstand verloren.
»Was wirst du tun?«
Julia gab ihm die Karte zurück. Sie blickte auf zu den kräftigen und doch anmutigen Ästen des Baumes, der ihr Schutz geboten und das Leben gerettet hatte. Hoch oben durchzogen die Kondensstreifen von Flugzeugen einen milchig blauen Himmel. Eine ganze Welt, in der das Leben weiter seinen normalen Gang ging.
»Ich werde seinen Rat befolgen«, sagte sie.
DANKSAGUNG
Für ihre Hilfe bei meinen Recherchen zur Polizeiarbeit, zur Telekommunikation und zu medizinischen Fragen danke ich Superintendent Steve Voice, Tony Deakin, Simon Cude, Dawn Hayes, Natasha Butt und Mr. S. Waquar Yusuf. Ich habe mir im Interesse der Story gewisse Freiheiten herausgenommen; die Verantwortung für eventuelle Fehler oder Ungenauigkeiten liegt
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