Amore siciliano
sind über die Maßen stolz darauf, behauptete mein Reiseführer. Angeblich liebten sie ihr Essen so sehr, dass sie regelmäßig Feste für Lebensmittel feierten: für Mais, getrocknete Tomaten, Paprika und so weiter. Und in Ragusa zelebrierte man den Fisch. Ich versuchte, mir vorzustellen, wie die Berliner eine Parade zu Ehren der Currywurst abhielten, mit dem Regierenden Bürgermeister an der Spitze. Oder vielleicht die Thüringer eine Rostbratwurstschau? Nein, wirklich, die Sizilianer waren schon ein eigenes Völkchen. Vielleicht fiel ja eines ihrer Futterfeste in unsere Aufenthaltszeit? Ich würde bei Gelegenheit danach fragen. Ich wollte in der Zeit, die wir hier verbrachten, so viele landestypische Dinge wie möglich erleben.
Nachdem Michele uns wahlweise Cappuccino oder Espresso sowie reichlich Wasser gebracht und sich wieder zurückgezogen hatte, eröffnete Dieter unser erstes offiziellesMeeting. Es ging gleich zur Sache: Am nächsten Morgen wollte er die benachbarten Agriturismi Il Limoneto und Galimi bei Catania am Fuße des Ätna besuchen. Malte und er würden dabei die Gastwirte und Bauern befragen, während Ole und ich die reizvolle Aufgabe hatten, uns als Locationscouts zu betätigen. Wir würden sowohl nach Perspektiven suchen, die einen eher romantischen, atmosphärisch dichten Blick auf das Biobauernleben ermöglichten, als auch nach Orten, die informative Bilder zur Geschichte des Agrotourismus und dessen technischer Entwicklung lieferten. Hierbei kam es darauf an, nicht nur die geeigneten Kamerapositionen festzulegen, sondern auch den Zeitplan für die Aufnahmen zu bestimmen, wobei Dinge wie Verkehr, Passanten und natürlich das Licht berücksichtigt werden mussten – Morgentau oder Sonnenuntergang und so weiter. Im Rahmen meines Studiums hatte ich mich mit diesen Dingen in der Theorie schon ausgiebig beschäftigt, nun war ich heiß darauf, mein Wissen praktisch anzuwenden.
Kollege Ole war ein sehr erfahrener Kameramann, dessen Können in der Produktionsfirma hoch geschätzt wurde. Mit ihm kam ich gut klar, ich freute mich auf die Zusammenarbeit.
Malte hingegen war nicht so begeistert von der Arbeitsteilung. Nicht nur wegen seiner mangelnden italienischen Sprachkenntnisse, sondern auch, weil er meinte, er würde sich nie an Dieters Berliner Schnauze gewöhnen. Er arbeitete lieber mit anderen Leuten von Studio Berlin zusammen, die etwas weniger direkt waren. Ich hingegen mochte die ehrliche Art des Redakteurs. Natürlichhätte ich auch nichts dagegen gehabt, eng mit Malte zusammenzuarbeiten und meine Italienischkenntnisse bei den Interviews anzuwenden, aber ich konnte verstehen, dass das nicht sinnvoll wäre. Immerhin war Malte zweiter Redakteur und ich eine Art Lehrling, was nun offiziell Bild- und Regieassistenz genannt wurde.
Aber ich freute mich auf die vor uns liegende Arbeit, nicht nur wegen meines netten Kollegen, sondern auch, weil dieses Projekt so viel komplexer war als die Dinge, um die es bei Studio Berlin sonst ging. Meistens wurden dort kurze Trailer, Berichte und Werbespots produziert. Der sechzigminütige Dokumentarfilm war also, was den Arbeitsaufwand anging, fast ein Großprojekt. Nur das Budget bewegte sich leider in den üblichen Dimensionen.
Doch was machte das schon, wenn man dafür wochenlang in Italien leben durfte. Ich trank einen Schluck Cappuccino und nippte an meinem stillen Wasser, das Michele mir dazugestellt hatte. Die Luft, die durch das Fenster hereinwehte, duftete nach jungen Blüten und Frühling. Hier in Italien musste man das Leben einfach genießen, ob man wollte oder nicht.
Unsere Besprechung endete gegen fünf Uhr. Den Rest des Tages durfte jeder nach seinen Vorstellungen verbringen. Dieter zog sich auf sein Zimmer zurück, um seine Pläne für die nächsten Tage durchzugehen. Ole warf sich in seinen Jogginganzug und startete zum Erstaunen unseres Wirts eine Runde »um den Block«, wie er meinte. Sportlich, sportlich, das musste ich ihm neidlos zugestehen. Was »einmal um den Block« allerdings hier auf dem Land bedeutete – keine Ahnung. Einmal um den Olivenhain,einmal ums Haus oder einmal um die mehrere Kilometer entfernte nächste Ortschaft? Mir jedenfalls war nicht nach Joggen zumute, und Malte war ohnehin ein Sportmuffel.
Wir erkundeten stattdessen erst einmal das Anwesen. Michele zeigte uns den zum Hof gehörenden Laden. Hier konnten Touristen und Nachbarn die hofeigenen Erzeugnisse wie Marmelade, Olivenkonserven, getrocknete Tomaten und
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