Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Amputiert

Amputiert

Titel: Amputiert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gord Rollo
Vom Netzwerk:
zu stopfen, und mir damit unwissentlich den Arsch rettete. Er bot mir eine Entschuldigung, den Blickkontakt mit Drake abzubrechen, und zwang Dr. Marshall, ihm zu antworten.
    Ich war so erleichtert, dass ich Rotbart hätte küssen können. Stattdessen griff ich erneut nach den Pfannkuchen und dem Sirup und starrte auf meinen Teller, während Dr. Marshall der Allgemeinheit am Tisch erklärte, dass es an diesem Morgen einen kleinen elektrischen Defekt gegeben habe, durch den ein Brandmeldesensor in der Sicherheitszentrale ausgelöst worden sei. Natürlich habe Drake nachgesehen, aber es habe sich um falschen Alarm gehandelt. Ich wagte einen Blick in die Runde; Rotbart und Rolli wirkten überrascht von den Neuigkeiten. Offenbar waren nur Bills und mein Zimmer überprüft worden.
    »Wow«, stieß Rotbart hervor. »Gut, dass es nur falscher Alarm war. Ein Feuer in so einem Haus könnte einen Millionenschaden anrichten. Und ich weiß, wovon ich rede – als ich noch bei der Feuerwehr war, haben wir einige Infernos erlebt. Hier wäre die Brandbekämpfung die Hölle.«
    Reds Offenbarung, dass er früher Feuerwehrmann gewesen war, fesselte die Aufmerksamkeit aller, und die Unterhaltung wanderte von mir zu ihm. Er genoss es sichtlich, im Mittelpunkt zu stehen, als er weiter ausführte, dass er dreizehn Jahre lang hauptberuflich in Niagara Falls, New York, bei der Feuerwehr gearbeitet hatte, bevor er bei einem Lagerhausbrand sein Bein verlor. Damals war das Dach eingestürzt, wobei sein linkes Bein unter einem Stahlträger und tonnenweise brennendem Geröll zerschmettert wurde.
    »Du warst nicht wirklich Feuerwehrmann, oder?«, fragte Drake, der sich aufrichtig verblüfft anhörte.
    Beinah hätte ich laut aufgelacht, als ich die Skepsis in der Stimme des Sicherheitschefs hörte. Er hatte über Obdachlose dieselben dummen Vorurteile wie fast jeder. Drakes massiger Schädel konnte sich einfach nicht vorstellen, dass Red je etwas anderes gewesen war als der verzweifelte Verlierer, der nun vor ihm saß. Er glaubte – und vertrauen Sie mir, damit stand er nicht alleine da –, dass alle Obdachlosen ihr Leben lang Trunkenbolde und Trottel gewesen waren. Klar gab es auch solche Penner, Leute, die so abhängig von Alkohol und Drogen waren, dass sie sich den Weg auf die Straße selbst pflasterten, aber meiner Erfahrung nach bildeten sie die Minderheit. Die meisten, die auf der Straße leben, wie Rotbart, Blue J oder ich selbst, waren normale, hart arbeitende, produktive Mitglieder der Gesellschaft, bis ihre Welt über ihnen zusammenbrach. Verstehen Sie mich nicht falsch: Wir waren keine unschuldigen Opfer – man hat immer die Wahl –, nur würden Leute wie Drake nie verstehen, dass Menschen wie wir dieselben Menschen wie er verkörperten.
    »Klar war ich das«, gab Rotbart zurück. Sein verärgerter Tonfall brachte zum Ausdruck, dass ihn dieselben Vorurteile frustrierten, über die ich gerade nachgedacht hatte. »Ich kann es sogar beweisen. Hier, sehen Sie sich das an ...«
    Red krempelte den linken Ärmel hoch und zeigte uns eine große, bunte Tätowierung auf seinem Bizeps. Sein Arm war mit Tätowierungen überzogen, aber diese bestand aus einem grellroten Feuerwehrhelm, vor dem sich eine gelbe Leiter und eine Axt kreuzten. Die Worte N. F. STATION 5 standen fett darunter.
    »Schön, was, Drake?«, sagte Rotbart, wobei Stolz in seiner trotzigen Stimme mitschwang. »Unsere gesamte Schicht ging mal aus, wurde sturzbetrunken und beschloss, sich das Ding machen zu lassen. Hab’s nie auch nur eine Minute lang bereut.«
    Drake starrte die Tätowierung eine Weile finster an, dann stand er auf und verließ wortlos den Tisch. Ein zufriedenes Lächeln breitete sich über unsere Gesichter aus, und Rotbart zwinkerte mir zu, als wolle er sagen: Das wird den Mistkerl ein wenig Respekt lehren .
    Bravo, Bruder , dachte ich, als ich zurückzwinkerte. Bravo!
    Der Rest des Tages gestaltete sich im Vergleich zu der Behandlung beim Frühstück, wo ich mich wie unter dem Mikroskop gefühlt hatte, als Kinderspiel. Unsere Operationen waren für den nächsten Vormittag angesetzt – meine für zehn Uhr in Operationssaal 2. Bevor wir uns jedoch unters Messer legen konnten, mussten wir noch die Voruntersuchungen absolvieren. Es wurden Aufzeichnungen über unsere Blutgruppe, unsere Herzfrequenz, unseren Blutdruck und unsere Körpertemperatur angefertigt. Man nahm uns Blut-, Urin- und Stuhlproben ab, unterzog uns einem Augentest, röntgte uns und gab uns einen

Weitere Kostenlose Bücher