Amputiert
weiteren Stapel Formulare, die wir wiederum in dreifacher Ausfertigung ausfüllen mussten. Wir wurden nach Allergien, Kinderkrankheiten, Geschlechtskrankheiten und sonstigen relevanten – vergangenen oder aktuellen – Gesundheitsproblemen gefragt, von denen Dr. Marshall wissen musste. Eigentlich war das alles Unfug. Man hatte den Hintergrund von uns vier bereits überprüft, und ich hätte zu wetten gewagt, dass sie die Antwort auf jede einzelne Frage bereits kannten, bevor man überhaupt an uns herangetreten war. Trotzdem konnte es wohl nicht schaden, die Aufzeichnungen zu überprüfen und sich zu vergewissern, dass sie auf dem letzten Stand und richtig waren.
Das Prozedere nahm den gesamten Vormittag in Anspruch, und wir setzten uns erst um 13 Uhr 15 Uhr zum Mittagessen. Zum Glück gesellten sich Drake und Dr. Marshall diesmal nicht zu uns, weshalb es angenehm und friedlich verlief. Nach dem Essen gehörte der Rest des Nachmittags uns. Die anderen nutzten die Gelegenheit, um versäumten Schlaf nachzuholen. Da ich nicht aus der Reihe tanzen wollte und nach wie vor versuchte, Drake zu meiden, ging auch ich in mein Zimmer und verschanzte mich bis zum Abendessen dort.
Auch das verlief ohne Zwischenfall; es wurde beiläufige Konversation betrieben und eifrig gegessen ... bis Bill Smith alle zum Schweigen brachte, indem er fragte: »Besteht die Möglichkeit, heute Abend hochzugehen und Ihren Sohn zu besuchen, Doc?«
Der Chirurg erstarrte mit der Gabel auf halbem Weg zum Mund, und Drake wurde dermaßen überrascht, dass er die seine um ein Haar verschluckte. Rolli und Rotbart hielten Bills Idee für fantastisch, also tat auch ich rasch meine Zustimmung kund. Die anderen meinten es ernst, ich hingegen wollte lediglich sehen, wie sich Dr. Marshall aus der Affäre ziehen würde.
»Ich fürchte, damit gibt es ein kleines Problem«, begann er. »Heute ist kein guter Abend, um Andrew zu besuchen. Ich war früher bei ihm oben, und er fühlt sich nicht besonders wohl. Vielleicht ist er nur nervös wegen morgen, aber ich schlage vor, wir gestehen ihm das zu. Bringen wir erst Ihre Operationen hinter uns, danach werden Sie reichlich Zeit haben, Andrew kennenzulernen. Einverstanden?«
Kleines Problem – von wegen. Kein Abend wird günstig dafür sein, ihn zu besuchen, weil es ihn schlicht und ergreifend nicht gibt!
Ich musste allerdings zugeben, dass sich Dr. Marshall ehrlich anhörte. Entweder glaubte er selbst, was er von sich gab, oder er war ein überzeugender Lügner. Niemand am Tisch zweifelte an seiner Aufrichtigkeit. Sogar ich musste zweimal überlegen, als ich den Schmerz in seinen Zügen bei den Worten über Andrews Unwohlsein sah. Vielleicht war ich hier der Verrückte. Vielleicht hatte ich die Dinge irgendwie durcheinandergebracht und irrte mich, was den Doktor anging. Mann, war ich verwirrt.
Dann stell ihn zur Rede. Tu es sofort, Mike. Hör auf damit, Geheimagent zu spielen, und sprich ihn direkt auf das an, was du gesehen hast.
Ich geriet in Versuchung, genau das zu tun, und ich denke, ich hätte es getan, wenn mir nicht aufgefallen wäre, wie Dr. Marshall und Drake den armen Bill Smith unablässig mit tödlichen Blicken bedachten. Mehrmals starrten sie finster zu ihm hinüber, dann nickten sie einander kaum merklich zu, als tauschten sie eine geheime Botschaft aus. Sie glaubten, ihren Mann zu haben. Bill hatte sich arglos nach der Möglichkeit erkundigt, Andrew kennenzulernen, und nun stürzte sich der Sicherheitschef auf ihn wie ein Bluthund auf eine frische Spur. Für Drake stellte Bills harmlose Bemerkung den Versprecher dar, auf den er den ganzen Tag lang gewartet hatte.
Dr. Marshall wahrte den Schein, aber Drake sabberte regelrecht neben ihm und grinste wie ein Dorftrottel, da er dachte, den nächtlichen Unruhestifter ertappt zu haben. Angesichts des irren Ausdrucks in seinem Gesicht dankte ich meinem Glücksstern dafür, meine vorlaute Klappe gehalten zu haben.
Kapitel 13
Wir gingen früh zu Bett, da wir alle uns für die Operationen am nächsten Vormittag ausruhen mussten. Leider war Schlaf ein Luxus, den ich mir nicht leisten konnte. Ausgestreckt auf meinem allzu gemütlichen Bett wälzte ich mich bis nach Mitternacht hin und her und überlegte, ob ich Reißaus nehmen sollte oder nicht.
Etwas tief in mir flüsterte, ich sollte fliehen, bevor es zu spät war; andererseits hielt mir der Gedanke an den fetten Batzen Geld einen Grund vor Augen zu bleiben. Zwei Millionen Gründe, um genau zu sein, und
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