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Amsterdam

Amsterdam

Titel: Amsterdam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian McEwan
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Melodie, eine schamlose Imitation von Beethovens Ode an die Freude, plus minus ein oder zwei Noten.«
    »Kein Wunder, daß er sich umgebracht hat.«
    Die Toten wurden in einer kleinen Leichenhalle im Kellergeschoß des Amsterdamer Polizeipräsidiums aufbewahrt. Als er und Lane die Betontreppe hinuntergeführt wurden, fragte sich Garmony, ob es unter Scotland Yard [210]  wohl auch so ein geheimes Gelaß gab. Jetzt würde er es nie mehr in Erfahrung bringen. Es kam zur offiziellen Identifizierung. Der Ex-Minister wurde zu einer Unterredung mit Beamten des niederländischen Innenministeriums beiseite genommen. Allein gelassen, betrachtete George Lane die Gesichter seiner alten Freunde. Sie sahen überraschend friedlich aus. Vernons Lippen standen leicht offen, als habe er gerade eine interessante Bemerkung von sich gegeben, während Clive die frohe Miene eines Mannes hatte, der in Beifall ertrinkt.
    Bald darauf wurden Garmony und Lane durchs Stadtzentrum zurückgefahren. Beide Männer waren in Gedanken versunken.
    Nach einer Weile sagte Garmony: »Eben hat man mir etwas Interessantes berichtet. Die Presse hat sich vertan. Wie wir alle. Es war überhaupt kein Doppelselbstmord. Sie haben sich gegenseitig vergiftet. Einander Gott weiß was für Drogen verabreicht. Es war wechselseitiger Mord.«
    »Großer Gott!«
    »Anscheinend gibt es hier schurkische Ärzte, die die Euthanasiegesetze bis an die Grenze des Erlaubten ausnutzen. Meist werden sie dafür bezahlt, daß sie die betagten Verwandten von Leuten um die Ecke bringen.«
    »Komisch«, sagte George. »Ich glaube, der Judge hat darüber mal einen Artikel gebracht.«
    Er wandte sich ab und schaute aus seinem Fenster. Sie fuhren im Schrittempo die Brouwersgracht entlang. Was für eine angenehme, wohlgeordnete Straße. An der Ecke befand sich ein schmucker kleiner Coffee Shop. Bestimmt wurden darin Drogen feilgeboten.
    [211]  »Ach«, seufzte er schließlich. »Die Holländer und ihre vernünftigen Gesetze.«
    »Ganz recht«, sagte Garmony. »Mit der logischen Konsequenz übertreiben sie’s aber ziemlich.«
    Als Garmony und Lane am späten Nachmittag wieder in Heathrow ankamen, regelten sie als erstes die Überstellung der Särge. Nachdem sie durch die Zollabfertigung gegangen waren und ihren jeweiligen Chauffeur gesichtet hatten, reichten sie sich die Hand und gingen ihrer getrennten Wege, ersterer, um einige Zeit mit seiner Familie in Wiltshire zu verbringen, letzterer, um Mandy Halliday aufzusuchen.
    George ließ seinen Wagen am oberen Ende ihrer Straße anhalten und ging das letzte Stück zu Fuß. Er mußte sich zurechtlegen, was er Vernons Witwe sagen sollte. Doch als er durch die kühle und besänftigende Abenddämmerung schlenderte, vorbei an großzügigen viktorianischen Villen, vorbei am Lärm der ersten Rasenmäher dieses Vorfrühlings, stellte er fest, daß seine Gedanken statt dessen zu anderen, angenehmeren Gegenständen abschweiften: Garmony war vernichtend geschlagen, dadurch, daß seine verlogene Gattin auf ihrer Pressekonferenz seine Affäre bestritten hatte, waren ihm hübsch die Hände gebunden, und jetzt war auch Vernon aus dem Weg geschafft und Clive. Alles in allem hatten sich die Dinge an der Front der früheren Liebhaber gar nicht so schlecht entwickelt. Zweifellos war dies der rechte Augenblick, um sich Gedanken über einen Gedächtnisgottesdient für Molly zu machen.
    George gelangte zu Hallidays Haus. Auf der Freitreppe blieb er stehen. Er kannte Mandy schon seit Jahren. [212]  Großartige Frau. Hatte es früher ziemlich wild getrieben. Vielleicht war es nicht verfrüht, sie zu einem Abendessen auszuführen.
    Ja, ein Gedächtnisgottesdienst. Lieber in St.   Martin’s als in St.   James’s; die wurde dieser Tage von leichtgläubigen Typen bevorzugt, die Bücher der Art lasen, wie er selbst sie veröffentlichte. Also St.   Martin’s, und die Ansprache würde allein er halten und sonst niemand. Keine früheren Liebhaber, die Blicke tauschten. Er lächelte, und als er die Hand hob, um auf den Klingelknopf zu drücken, war er in Gedanken bereits genüßlich mit der spannenden Frage der Gästeliste befaßt.

Foto: © Roeland Fossen
     
    IAN McEWAN, geboren 1948 in Aldershot (Hampshire), lebt in London. 1998 erhielt er für Amsterdam den Booker-Preis und 1999 den Shakespeare-Preis der Alfred-Toepfer-Stiftung für das Gesamtwerk. Sein Roman Abbitte wurde zum Weltbestseller und mit Keira Knightley verfilmt. Er ist Mitglied der Royal Society of

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