An den Rändern der Zeit (German Edition)
cliffhanger geendet. Das hieß im neodataslang, dass sie die kurze Geschichte noch vor dem Finale abgebrochen hatte. Man sprach heutzutage fast überall diesen für sie unerträglichen Englisch-Pidgindeutsch-Jargon, gelegentlich mit Brocken aus weiteren europäischen Sprachen verquickt. Dort, wo B.C. herkam, wurde ein sehr ausgefeiltes, nuancenreiches Deutsch gepflegt – ganz zu schweigen von den Geheimzungen.
Da sie schon mehrere cliffhanger hinter sich hatte, konnte das heutige Ereignis sie nicht sonderlich erschüttern – es kam ihr sogar ziemlich zupass, denn zu Hause wartete DER FEHLER auf sie. Ihre Aufgabe.
Eine Kleinigkeit allerdings hatte sie heute doch beunruhigt. Sie wollte nicht daran zurückdenken, doch etwas zwang sie dazu. Sie hasste das.
Nacht. Schwärzestes, tiefstes Mittelstück der Nacht. Lang ausgestreckt auf dem Flachdach einer Lagerhalle, bäuchlings, starrte B.C. sonnenbebrillt in die Sternenweite und lauschte dem Gesang der Wale. Der nächtliche Raum selbst war für sie ein Wal, wie er auftauchte und sich mit vollendeter Krümmung zurückschwang in die Tiefe, in strömenden Klängen.
Jobs als Wächterin waren ihr eine willkommene Abwechslung. Einfachheit und Schweigsamkeit kennzeichneten sie. Es war nicht nötig, Worte zu verschwenden; meistens genügte es, wenn sie auf Fragen des Chefs wahlweise mit „Sicher“ oder „zeroproblem“ antwortete.
Das einzige, was sie an den Wächterinnenjobs nervte, waren die Handys. Manchmal manipulierte B.C. sie, so dass sie nicht mehr läuteten, aber dann kamen in der Regel nach einer Weile die Kollegen in persona angehopst, was noch nerviger war. Selbst heutzutage war es übrigens unüblich, dass eine Frau einen Job in einer Wachmannschaft bekam – B.C. gelang es aber immer wieder. Voraussetzung war, dass die Vorstellungsgespräche nicht länger als fünf Minuten in Anspruch nahmen. Dauerten sie länger, fand sie die Sache so lächerlich, dass sie sich den Job unweigerlich selbst versaute. Allzu offen trug sie dann ihren Zynismus zur Schau, das ließ sich nicht unterdrücken. In dieser sparwütigen abgehetzten Welt ging es zum Glück meistens nur um fünf Minuten.
Die einzigen anderen Jobs, die ihr zur Verfügung standen, gab es in den Programmierpools. Hacken in winzigkleinen Arbeitszellen, vierzehn-Stunden-Schichten, entsetzlich langweilig.
Sie lag also auf dem Flachdach und verfolgte gerade einen wunderbaren, goldseidenen Gedankenfaden spiralförmig durch die Dimensionen der Nacht, als das abstoßend synthetische Klingeln ihres Handys ertönte.
Der Gedanke aus Gold wurde zu grünlich anlaufendem Messing und zerklirrte in kleine hässliche Scheiben. Widerwillig robbte B.C. zum anderen Ende des Daches, wo das handtellerkleine schwarze Hassteil lag. Ein Kollege.
Sie meldete sich mit einem Fluch.
Daraufhin schrillte sein Keifen in ihr Ohr, dass es wehtat: „Häääj – was los?“
„Zeroproblem“, antwortete B.C.
„Tschuld´ge, aber der Comp zeigt was anneres an. Hat Alert gemeldet. Was war´n los?“
Der Comp, äffte B.C. ihn in Gedanken nach, voll bitterer Verachtung.
Jetzt fiel ihr ein, dass sie ihre Gaspistole abgefeuert hatte. Vor ein paar Stunden. Das hatte „der Comp“ zweifelsohne registriert.
„Kleinigkeit. Bedeutungslos“, knurrte sie.
„Tschuld´ge“, plärrte der Nervtöter wieder, „versteh dich nicht clear. Kannst nochmal repeaten?“
„Leck-Arsch“, knurrte B.C. nur und schaltete das Handy aus.
Geschwätzigkeit, dachte sie, ist das einzige, was diese Computerkontrollsucht über uns bringt.
Keine zehn Minuten später kam der Kollege mit einem Elektrokarren angedüst. Was für ein Scheiß. Sonst sah sie die Kollegen immer nur bei Beginn und Ende der Schicht, und da genügte es, irgendwas zu grunzen und nach Kaffee und Speck zu greifen, so wie alle das taten.
Wie eine sprungbereite Spinne hockte B.C. auf dem Flachdach und betrachtete den heranrasenden Typ – hieß er nicht Tomy? – mit Basiliskenblick.
Die Abgestumpftheit der meisten Wachleute wurde nur noch durch ihre Hässlichkeit übertroffen. Tomy hier hatte die Figur eines Waldschrats, ein Schwabbelkinn mit Haaren dran sowie dicke, fette Tränensäcke, obwohl er allerhöchstens 30 Jahre alt war.
Das erste, was er nach ihrem leichtfüßigen Sprung vom Flachdach herab von sich gab – er selbst wuchtete sich derweil mühsam aus seinem Elektrokarren –, war: „Mensch, Currer, nimm doch die sunglasses ab. Kannst ja überhaupt nix
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