0665 - Die Gruft des Druiden
Der Sommer war in der Septembermitte noch einmal zurückgekehrt und zeigte sich von seiner besten Seite. Vier Freunde, die sich lange nicht mehr gesehen hatten, saßen im Hof einer Pizzeria mit Eiscafé und löffelten an ihren Eisbechern.
»Eigenartige Dinge geschehen am Glauberg«, sagte Carsten Möbius. »Eine Grabstätte aus der frühen Laténe-Zeit wird entdeckt - und ist nur Stunden später spurlos verschwunden. Unterlagen verbrennen, ohne daß jemand in der Nähe ist, der sie in Brand gesetzt haben könnte. Ein Helfer des Archäologenteams sichtet ein unbeschreibliches Fabelwesen und leidet seither unter Alpträumen der bösartigsten Sorte. Zwei Heißluftballons geraten bei bestem Wetter im Luftraum zwischen den Orten Glauburg und Lindheim in eine Art Luftloch, einer schafft es gerade noch, weiterzukommen, der andere muß notlanden und kann gerade noch vor den ersten Häusern einer Ortschaft herunterkommen, statt den Leuten aufs Dach zu knallen… es gibt noch ein paar Seltsamkeiten, wie beispielsweise eine ungewöhnlich extreme Unfallhäufung auf dem Autobahnabschnitt dieser Gegend… Deshalb seid ihr hier.« Er nickte Professor Zamorra, Parapsychologe und Dämonenjäger, und dessen Lebensgefährtin, Kampfpartnerin und Sekretärin Nicole Duval zu.
»Ein paar Andeutungen hast du ja schon am Telefon gemacht«, erwiderte Zamorra. »Gibt es Aufzeichnungen, Zeugenaussagen und dergleichen mehr? Sind die Vorfälle protokolliert?«
Möbius winkte ab.
»Vergiß es. Omerta.«
»Bitte?« fragte Nicole Duval und naschte ein Stückchen Ananas aus dem Eisbecher.
»Das Gesetz des Schweigens«, grinste Möbius. »Wie es für gewöhnlich von der Mafia gehandhabt wird. Niemand sagt etwas. Paßt irgendwie hierher.«
»Was paßt hierher? Daß niemand etwas sagt? Vielleicht könntest du dich ein kleines bißchen allgemeinverständlicher ausdrücken«, grummelte Zamorra.
»Es paßt zu dieser Pizzeria«, schmunzelte Möbius. »Den Besitzer derselben haben sie letztes Jahr einkassiert und nach Rom verfrachtet, um ihn dort vor Gericht zu stellen. Hier war der Hauptumschlagplatz der hiesigen Drogen-Mafia.«
»Und in ein solch zweifelhaftes Etablissement entführst du uns? Mich schaudert«, behauptete Nicole wenig glaubhaft.
»Wieso? Das Essen hier ist gut, das Eis ebenfalls, das Personal kann nix für die Machenschaften des ›Paten von Altenstadt‹, und der gute Gino selbst ist für lange Zeit weit weg vom Fenster.«
»Und was hat das nun mit dem Glauberg zu tun?« hakte Zamorra nach.
»Die Leute, die irgend etwas mit den seltsamen Vorfällen zu tun haben, schweigen sich aus wie Maña-Gino.«
»Komm, Klartext, Carsten!« verlangte Zamorra. »Ich komme zwar gerne her, um mal wieder ein Plauderstündchen mit dir und Michael abzuhalten, und es ist auch ganz liebenswert, uns den Flug zu bezahlen, die Unterkunft und einen Wagen zu stellen, aber… ich hasse vage Andeutungen. Die Sibylle von Cumae war auskunftsfreudiger…«
Und die hatte er in grauer Vergangenheit bei einer unfreiwilligen Zeitreise noch kennengelernt, aber nicht verhindern können, daß ihre umfangreiche Bibliothek verbrannte. [1]
Michael Ullich breitete die Arme aus. »Die Leute reden einfach nicht«, sagte er. »Vielleicht, weil sie befürchten, daß man sie auslacht. Vor allem die Sache mit dem Grab, das verschwunden ist, ist ja wenig glaubhaft, zumal alle schriftlichen Unterlagen, alle Fotos, alle Protokolle, verschwunden, verbrannt oder sonstwas sind. Aber wir sind sicher, daß die Ursache all dieser seltsamen Dinge in eben jenem Grab zu suchen ist.«
»Wie kommt ihr zwei überhaupt an diese Sache?« wollte Zamorra wissen. Carsten Möbius war der Chef eines weltumspannenden Großkonzerns, und Michael Ullich sein Freund und Bodyguard, wenn sie auf Reisen gingen. In der Firma war Michael sein Freund und seine rechte Hand, nachdem er, in ganz alten Tagen Versicherungsagent, ein Studium der Wirtschaftswissenschaften absolviert hatte und von Carsten ins Büro gegenüber, mit gemeinsamem Vorzimmer, beordert worden war; so konnte er seinem Freund einen Teil der Arbeit abnehmen. In früheren Zeiten waren die beiden oft gemeinsam mit Zamorra und Nicole auf Dämonenjagd gegangen und hatten sich im Team ideal ergänzt. Aber seit sich der Senior des Unternehmens, der »alte Eisenfresser« Stephan Möbius, aus dem Geschäftsleben zurückgezogen hatte, fand sein Sohn keine Gelegenheit mehr, den Firmenschreibtisch gegen einen Platz am Lagerfeuer zu tauschen. Weh
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