An den Rändern der Zeit (German Edition)
vollends stehenzubleiben, sich zu verdicken wie kosmischer Sirup. Nur hin und wieder krochen ein paar stahlblaue oder blutrote Schatten schüchtern hinein in die Tiefe, was wiederum recht natürlich und daher seltsam überzeugend wirkte.
Ein blondes Mädchen, zierlich aber durchtrainiert, saß im Schneidersitz vor einer Steintafel und las die Inschrift immer wieder. Sie war so in die Lektüre vertieft, dass sie die leisen dumpfen Schritte nicht hörte, die sich ihr von hinten näherten.
Von der Höhlendecke baumelte eine Kugellampe herab, ließ den Edelsteinreif im Haar des Mädchens aufblitzen, brachte die ebenfalls edelsteinfarbenen Waffen an ihrem Körper zum Funkeln. Dann durchschnitt eine riesige bepelzte Pranke den Lichtstrahl und schwebte bedrohlich über dem blonden Kopf.
Irritiert sah Lara auf. „Komm schon, Dicker, geh mir aus dem Licht“, sagte sie ein wenig ungehalten.
Das riesige Wesen, das in ihrem Rücken aufgetaucht war, stieß ein brummendes Räuspern aus und gehorchte, linste ihr aber neugierig über die Schulter. Der Dicke war ganz und gar in braunzottiges Fell gehüllt und besaß entfernte Ähnlichkeit mit einem Bären. Nur das überdimensionale Maul mit den zwanzig Zentimeter langen Reißzähnen passte nicht ins Bild. Wenn der Dicke sprach, klang es fast immer wie lispelndes Knurren, und manchmal verirrte er sich in der Finsternis dunkler Vokale.
„Was liest du dunn du?“, fragte der Dicke.
„Wenn ihr endlich regelmäßig zur Schule gehen würdet, ihr faulen Monster, dann müsstest du mir diese Frage nicht stellen“, erwiderte Lara. „Ich hab schließlich auf Ebene 47 alles schon vorbereitet.“
„Ebene 47 eignet sich überhaupt nicht!“, krähte ein violetter Totenkopf, der plötzlich mit einer nach Schwefel stinkenden Verpuffung aus dem Nichts erschien. Er wurde höchst anmutig von mehreren Schlangen umspielt, die aus seinen Augenhöhlen herauswuchsen. „Wir haben alle darüber abgestimmt! Ebene 47 ist die Ebene von Lug und Trug! Da hätten wir dir kein einziges Wort geglaubt!“
„Schon gut, Baby“, lächelte Lara, während der Schädel herausfordernd vor ihrem Gesicht auf- und ab tanzte, und geistesabwesend murmelte sie vor sich hin: „Ich glaub, ich hab euch das Abstimmen viel zu früh beigebracht. Hätte damit warten müssen, bis ihr keine Analphabeten mehr seid.“
„Also was issst dasss da?“, lispelte der Dicke, der sehr hartnäckig war.
„Ja, was?“, klirrte ein blecherner Sound auf einmal links von Lara, und sie fühlte ihren linken Arm von einer Eisenklaue gepackt. Unwillig, aber mit einem kleinen Grinsen im Gesicht, schüttelte sie die Klaue ab. Die voluminöse Metallspinne hatte sich an ihrem Drahtseil blitzschnell von der Decke herabgelassen, und nun wurde es recht eng in der kleinen Höhle.
Lara kapitulierte. „Also gut, meine Süßen. Aber ich glaube nicht, dass es euch gefallen wird. Ich glaube, ich werde euch verlassen müssen.“
Die drei Monster brachen in ihre jeweilige Art von Wehgeschrei aus. Die Spinne rasselte, der Dicke knurrte, Baby gab zornige Krählaute von sich und verzog sich dann in eine Ecke. Die anderen beiden starrten grimmig auf die Steintafel.
„Und das wegen dem Zeugs da?“
„Und wenn wir esss zertrümmern?“
„Und wenn wir nicht wollen, dass du gehst?“ Das war der kleine Schädel.
Lara lächelte und breitete bedauernd beide Arme aus, während sie sich geschmeidig erhob. „Ihr Lieben, das nützt euch alles gar nichts. Dies ist ein fremder Text, der in letzter Zeit immer wieder da ist, einfach so, an allen möglichen Orten. Er verfolgt mich. Und das heißt, er wurde geschrieben von – IHR.“
Sie kraulte die Metallspinne – wobei ihre Nägel ein quietschendes Geräusch verursachten – tätschelte dem Dicken die muskelbepackte Schulter und versuchte, das schmollende Baby zu sich zu locken.“
„SSSIEE! Dasss bedeutet, nachdem sssie uns verlassssen hat raubt sssie unsss jetzzzzt auch noch dassseinsssige …“, begann der Dicke und hatte noch mehr Schwierigkeiten mit den Zischlauten als sonst. Die anderen beiden jaulten zustimmend, Baby aus seinem Schmollwinkel heraus.
„Na na, nun beruhigt euch. SIE ist nicht dafür verantwortlich, jedenfalls nicht direkt. Die Nachricht kommt aus IHREM Unterbewusstsein, was nichts Gutes zu sagen hat. Und wenn SIE in Gefahr ist, sind wir es auch.“ Lara schwieg einen Augenblick. „Die schreckliche Außenwelt. Ich krieg jetzt schon eine Gänsehaut. Und ich werde euch auch
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