An einem heißen Nachmittag im August
An einem heißen Nachmittag im August
Roderik Smith ertappte sich dabei, wie er leise die Melodie eines Songs mitsummte, der aus dem Lautsprecher des Fahrstuhls erklang. Sofort verstummte er, konnte er doch die Musikuntermalung in Fahrstühlen, die angeblich der Besänftigung der Insassen dienen sollte, nicht ausstehen. Außerdem geziemte es sich nicht für einen Dämon, fröhlich ein Liedchen zu trällern. Aber heute war wirklich ein guter Tag gewesen. Roderik war es gelungen, einen der reichsten Männer Amerikas als Mandanten für seine Rechtsanwaltskanzlei zu gewinnen, den New Yorker Zwergenkönig Sarel Boak. Natürlich tauchte das Vermögen seines Mandanten in keiner menschlichen Statistik auf. Manager- und Wirtschaftsmagazine hatten sich noch niemals mit Sarel befasst, ganz einfach deshalb, weil ihre Redaktionen nicht wussten, dass Sarel überhaupt existierte. Zwerge hielten sich vor den Menschen verborgen. Und wenn sie doch einmal mit ihnen zu tun hatten, gaben sie sich als Kleinwüchsige aus. Sarel regierte sein riesiges Firmenimperium diskret von dem Büro seiner New Yorker Holding aus. Er war keine Person, die im öffentlichen Bewusstein bekannt war, wie beispielsweise Donald Trump oder die Rockefellers.
Natürlich hatte Sarels Holding eine eigene, hochkarätige Rechtsabteilung. Dennoch beauftragte der Zwerg aus taktischen Gründen dann und wann auch größere und mittlere Rechtsanwaltskanzleien. Dass er zu Hoffman, Tucci & Partner gekommen war, lag allein an Roderik. Dämonen waren unter den magischen Wesenheiten dafür bekannt, hervorragende, gewissenlose Rechtsanwälte zu sein. Seit einigen Jahrzehnten eroberten sich die Dämonen zwei Betätigungsfelder, das Finanzwesen und die Juristerei. Roderik hatte beide miteinander verbunden, er war Wirtschaftsjurist. Bei Hoffman, Tucci & Partner war er der einzige Dämon. Seit einem Jahr war er Partner. Noch wurde er nicht namentlich im Firmenlogo und im Briefkopf erwähnt, aber er war der Moneymaker des Unternehmens. Bald würden die Seniorpartner deshalb nicht umhin können, ihn aus dem anonymen Sammelbegriff Partner herauszunehmen und seinen Namen vor das "&" zu setzen, obwohl sie ihn alle nicht ausstehen konnten und sogar ein wenig Angst vor ihm hatten. Selbstverständlich wussten niemand in der Firma, dass Roderik ein Dämon war. Die Aversionen seiner Kollegen auf seine Gegenwart waren eine instinktive Reaktion auf seine dämonische Natur. Roderik war in der Firma die am meisten gehasste Person, und er genoss es.
Am meisten unter ihm litt Maurice Fuller, sein junger Assistent, der gerade erst die Uni abgeschossen hatte. Der junge Absolvent war teilweise ein Elf, wovon er allerdings keine Ahnung hatte. Roderik hatte ihn aus reinem Sadismus aus einer Gruppe von hundert Bewerbern ausgesucht. Wenn Maurice mit seinem Chef in einem Zimmer war, machte sich ständig sein Fluchtreflex bemerkbar. Sein Körper schüttete Adrenalin aus und er wusste nicht, weshalb. Roderik kannte die Antwort. Es waren die ererbten Elfensinne des jungen Mannes, die ihn vor dem Dämon warnten.
Der Fahrstuhl war ziemlich voll, wenn auch nicht so eng besetzt, dass man sich schon quetschen musste. Nach der Vertragsunterschrift in Roderiks Büro hatten er und Sarel beschlossen, zur Feier des Tages Essen zu gehen. Aus einer Laune heraus hatte Roderik seinen Assistenten ebenfalls dazu eingeladen, obwohl er genau spürte, dass Maurice lieber verhungert wäre, als mit ihm Essen zu gehen. Da immer wieder Leute zustiegen, wurde Maurice näher und näher zu Roderik geschoben. Schon standen Schweißperlen auf der Stirn des jungen Mannes.
Oh, wie sehr Roderik die seelische Konfusion seines Assistenten genoss.
Er fing einen amüsierten Blick Sarels auf.
Du bist ein gemeiner Hund, den armen Maurice so zu quälen, vermittelte der Zwerg dem Dämon in Gedanken.
Vielen Dank!, freute sich Roderik. Niemand zwingt ihn, für mich zu arbeiten, er ...
Jäh wurde der Dämon von etwas getroffen, das ihn gegen die Fahrstuhlwand schleuderte. "Bei allen Höllenhunden!", schrie er. Seine mentale Abschirmung wurde von einer mächtigen Welle fortgerissen. In seinen Ohren klingelte es. Sein Herz pumpte rasend schnell. Sein Schwanz stand prall in seiner Hose. Eine Geilheit noch nie erfahrenen Ausmaßes schüttelte seinen Körper. Roderik verlor sich im Rausch, gab sein Ich auf, wurde eins mit dem Universum ...
RODERIK!, drang jemand in sein Paradies ein.
Der Dämon knurrte.
R O D E R I K !
Ein eisernes Band legte sich um
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