An Paris hat niemand gedacht
nicht an die Stiftungsfeste?«
»Freiwillig nicht! Außerdem liefen die da nur mit Band, Mütze und Bierflasche rum.«
»Hier handelt es sich um die Galauniform des Couleurstudenten: schmucke Jacke, ›Pekesche‹ genannt, weiße Hose, Stulpstiefel, Schärpe in den Verbindungsfarben, Cerevis auf der Stirn. Paradeschläger und Prunkfahne dürfen natürlich auch nicht fehlen.«
»Du kennst dich ja aus.«
»Das Einzige, was Richard wirklich Freude machen konnte; ich musste es auswendig lernen bis zum Erbrechen.«
»Sieht bescheuert aus.«
Ein bitteres Lachen drängt sich aus Gretas Kehle.
»Tradition eben. Übrigens: das Ganze nennt sich Vollwichs.«
» Wie heißt das?«
»Voll…«, Greta presst beide Hände auf den Mund.
Einer der Bandträger zu Martas Rechten fühlt sich bemüßigt, weitere Erklärung abzugeben, kommt aber nur dazu, »Die Chargierten« zu sagen, weil Greta sie am Arm packt und mit sich zieht. Der Grund: Erika nähert sich. Greta stolpert über eine Unebenheit, Marta stützt sie am Ellenbogen, schwankt selbst bedenklich und sieht Gretas rot bestrumpften Fuß in feuchte Erde treten. »Scheiße!« Einige Köpfe drehen sich zu ihnen um. Greta hält sich mit einer Hand an Martas Schulter fest und hüpft auf einem Bein, bis der Pfarrer ihr lächelnd den fehlenden Schuh gereicht hat.
»Kennen wir uns nicht?«, sagt er freundlich.
»Kann ich mir kaum vorstellen«, faucht Greta, und Marta denkt: Das ist also die zickige Seite, zur Notwehr durchaus brauchbar. Den Pfarrer scheint es wenig zu beeindrucken. Er behält sein Lächeln bei und wendet sich anderen zu, entweder in der Absicht, keinen zu verpassen, der womöglich doch des pastoralen Trostes bedürfen könnte, oder um nach getaner Arbeit rasch an die heimische Kaffeetafel zu gelangen. Vielleicht ist er auch einfach nur ein diskreter Mensch.
Greta zwängt ihre nassen Zehen in den Schuh, an der Seite quillt Schlamm heraus, den sie fluchend mit einem Papiertaschentuch abzuwischen versucht.
»Ich muss durch!« Neben ihnen drängelt jemand durch die Reihen, ausgewachsene Männer lassen sich beiseiteschieben wie Pappfiguren, kapitulieren angesichts der zornigen Körpermasse, die ihre Botschaft verkünden zu müssen glaubt: »Dass du es wagst, hier aufzutauchen!« Erika hat sich vor ihnen aufgebaut,
an die hundert Kilo bebende Empörung: »Hast du gedacht, ich erkenne dich nicht mit dieser schwarzen Brille? Ich erkenne dich in jeder Aufmachung! Du hast ihn in den Ruin getrieben! Was für eine Frechheit, ihn noch im Tod mit deiner Anwesenheit zu beleidigen! Du trittst hier als feine Dame auf, willst uns allen zeigen, dass du etwas Besseres bist, aber das bist du nicht! Ein treuloses, ehebrecherisches Weib, das bist du!«
Gretas Taschentuch bleibt im Gras liegen.
Marta hätte nicht gedacht, dass es heutzutage noch Menschen gibt, die ein solches Vokabular ernsthaft benutzen. Und was meinte die fette Alte mit »ehebrecherisch«? Um sie herum scharen sich einige Leute, Greta steht stocksteif da, presst die Lippen aufeinander und gibt keinen einzigen Laut von sich.
Nach der kleinen Pause, die Erika einlegen muss, um eine Portion Kummer in ihr Taschentuch zu schnäuzen, ist sie noch lange nicht am Ende: »Schämen solltest du dich! Du hast eine intakte Familie zerstört und einen Mann in seinen besten Jahren um sein Liebstes gebracht!«
Der Herr, der Greta vorhin die Hand reichen wollte, tritt an Erika heran, fasst sie am Arm und bittet sie, sich zu beruhigen.
»Beruhigen soll ich mich? Nein, ich werde nicht schweigen, bis alle wissen, was diese Person meinem Bruder angetan hat!« Sie hebt die Faust, fuchtelt vor Gretas Gesicht herum, der Mann redet leise auf sie ein, versucht sie von Greta wegzuziehen. »Fassen Sie mich nicht an! Ich lasse mir den Mund von niemandem verbieten! Von Ihnen schon gar nicht! Ich werde …«
Marta schiebt die Sonnenbrille ins Haar und macht einen Schritt nach vorn. »Tante Erika!«
Die Faust senkt sich schlaff.
»Marta? Mein Gott! Bist du es, Kind?«
»Hau ab!«
Erika öffnet den Mund, schließt ihn wieder, schnappt nach Luft.
Sophia steht plötzlich an Martas Seite. »Geh, Tante, geh weg, und lass uns in Ruhe!«
»Das ist doch die Höhe!«, bricht es zwischen den fleischigen Lippen hervor. »Ihr seid doch nur scharf auf sein Geld, ihr Erbschleicher! Ihr habt ihn alle auf dem Gewissen!«
Marta spürt den Druck eines anderen Oberarms an ihrem; er fühlt sich nicht fremd an.
Der Pfarrer nähert sich von hinten,
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