An Paris hat niemand gedacht
orientierter Personalpolitik erreicht hatte, konnte Marta sich denken, auch wenn es bei Greta anders klang. Sie hatte eine Chance bekommen und in Gold verwandelt, war dankbar, war fleißig, war jemand, wie sie selbst es mehrmals formulierte: »Plötzlich war ich jemand!« Sollte man nun davor Respekt haben? Wer oder was war Greta? Die nach teurem Parfum duftende Lady, die Mutter, die zusammengekauert
am Frühstückstisch gesessen hatte, die Person, die gestern zitternd neben ihr auf dem Barhocker Platz nahm? Sie passten nicht zusammen.
Marta hörte zu, war verwirrt, war ratlos. »Reine Beschreibung«, hatte Greta gesagt, und vielleicht waren die Stränge ihrer Erzählung nur so nebeneinander zu betrachten: Man nahm sie zur Kenntnis, man musste sie nicht verstehen.
»Irgendwann bist du dann geschieden worden, oder?«
Was Greta erzählte, kroch Marta ins Hirn, setzte sich dort fest und begann sich auszubreiten, Greta sollte weiterreden, möglichst alle Versionen, die sie war, vor ihr ausbreiten, damit irgendwann vielleicht eine dabei herauskommen würde, für die Marta Respekt empfinden könnte und … Nein, nicht dieses zerbrechliche, autoimmunkranke Wort; dafür war es zu früh und zu gefährlich.
Das Verkehrsaufkommen hatte sich gegen Mittag verdichtet, Marta drosselte die Geschwindigkeit, und sie rauchten aus dem offenen Fenster, während Greta ausführte, wie Richards letzte Jahre im Bauamt verlaufen waren: trostlos und immer auf Pegel. Kam er abends nach Hause, ließ er seine Frustration an seiner Frau aus, die heimlich damit begann, Schlaftabletten zu horten. Kurz hinter Braunschweig bezog Greta in ihrer Erzählung die erste eigene Wohnung, fürchtete sich davor, in der Abenddämmerung mit der Waffe bedroht zu werden, speicherte Richards Anrufe zur Weitergabe an die Anwältin auf Band.
»Bist du eigentlich sicher, dass er vor deinen Fenstern herumlungerte, weil er dir etwas antun wollte?«, fragte Marta zwanzig Kilometer vor Kassel.
»Was denn sonst?«
Marta zuckte mit den Schultern: »Könnte ja sein.«
Greta holte zu einem umfassenden Bericht von Richards Erscheinen
am Flughafen aus und verwarf entschieden die Möglichkeit, Richard könnte jemals etwas anderes als ihre Vernichtung im Sinn gehabt haben. Die Schlaftabletten seien erst gestern Nacht im Klo heruntergespült worden. »Jetzt ist er weg und kann mich nicht mehr kaputt machen.« Es klang nicht überzeugend.
Merkwürdig, dachte Marta, dass sich die Brüche ihrer Persönlichkeit bis in die Stimmlage, das Sprechtempo, die Wortwahl, verfestigt haben. Hier die Frau, die strahlend und lebendig von Kollektionen und Marketingideen zu erzählen wusste, dort die von Angst und Unsicherheit Getriebene, die mühsam Wort an Wort fügte. Eine Doppelrolle in einander widersprechenden Ausformungen. Sie hatte Sagenhaftes geleistet, daran bestand kein Zweifel, auch wenn sie mehrmals den glücklichen Zufall zitierte, aber ihre in hochpreisige Textilien eingefasste Souveränität erwies sich allzu schnell als zerbrechlich, wenn das entsprechende Stichwort fiel. Es hatte etwas anrührend Hilfloses, wie Gretas Haltung zusammensackte, wie die lebhaften Bewegungen ihrer Arme und Hände einfroren, sobald von etwas anderem als ihrer Karriere die Rede war. Nur an solchen Stellen kam die ängstliche Frage, ob sie zu viel von sich spreche, was Marta stets verneinte. »Es interessiert mich«, sagte sie einmal und wurde sich bewusst, wie dumm die Bemerkung klingen musste. Aber es stimmte.
Sie verließen eben die Autobahn und bogen dem Hinweisschild folgend auf die Bundesstraße ab, als Gretas Redefluss zum Erliegen kam. »So, nun weißt du mehr von mir.«
Marta sagte: »Ja, danke«, und biss sich auf die Lippen.
»Eines würde mich noch interessieren: Du hattest ihn doch schon einmal verlassen, damals in Bouaké, mit Sophia und mir, wir waren in einem Hotel …«
»Die Pässe«, fiel Greta ihr ins Wort, bevor Marta die Frage formulieren
konnte. »Er hatte eure Pässe, und ich wollte das Land nicht ohne euch verlassen.«
»Du hättest dich an die Botschaft wenden können, einen Anwalt einschalten, was auch immer«, rief Marta.
Greta spielte mit dem Feuerzeug, zupfte sich den roten Seidenschal zurecht. »Hätte …«, sagte sie so leise, dass Marta Mühe hatte, sie zu verstehen. »Ich hätte so vieles anders machen sollen.«
Im Auto war es still geworden, das Quietschen der Scheibenwischer, die Marta nach einem Schauer vergessen hatte auszuschalten, wurde
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