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An Paris hat niemand gedacht

An Paris hat niemand gedacht

Titel: An Paris hat niemand gedacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Peters
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mir! Marta hat mich zu spät vom Kindergarten abgeholt! Marta hat mir ihren Schal nicht gegeben!«
    Sie hätte ihr damals gerne etwas angetan, dem kleinen Miststück, einen faustgroßen Stein genommen, einen Strick geknüpft, eine Schlucht im Wald aufgesucht. Ziemlich viele Mordphantasien in ihren frühen Jahren, wenn sie darüber nachdachte.
    »Schämst du dich nicht, deine kleine Schwester frieren zu lassen?« Das hieß zusätzliche Arbeitseinsätze im Garten.
    »Was habe ich von Katharina gehört?« Das führte, wenn es noch gut ging, zu Hausarrest und Taschengeldentzug, ansonsten zu Schlimmerem.
    Wie Richards Reaktion ausgefallen war, als seine Jüngste nach drei Semestern ihr Medizinstudium abgebrochen hatte, weil sie nach eigener Aussage »lieber praktischen Umgang mit den Patienten haben wollte, als jahrelang an der Uni zu büffeln«, hatte Kati Marta bei einem ihrer Treffen ungefragt berichtet. Das sei für ihn kein Problem gewesen, er habe ihre Entscheidung respektiert. »Er wollte nicht noch eine Tochter verlieren«, hatte Kati hinzugefügt.

    Die Männer vom Beerdigungsinstitut schieben sich ins Bild, verlassen gemessenen Schrittes den Ort ihres Einsatzes und stellen sich neben einem kleinen Bagger in den Hintergrund, um auf ihre nächste, diesmal weniger rituelle Aufgabe zu warten. Morgens haben sie die Grube ausgehoben, nachmittags mit einer vorschriftsmäßig eingesargten Leiche befüllt, nach Abgang der Trauergäste werden sie den Bagger anwerfen und dann schön das Loch wieder schließen, bevor noch jemand hineinfällt. Was sagen diese Leute, denkt Marta, wenn sie nach Feierabend in der
Kneipe nach ihrem Beruf gefragt werden? Kuhlengräber? Totenfeierbegleiter? Grubenmacher? Manch einer, der so leichtsinnig war, sie anzusprechen, wird abrücken, heimlich ein Zeichen hinter dem Rücken machen: mich und meine Lieben bekommt ihr nicht. Ihre berufliche Erfahrung widerspricht dem: wir kriegen euch alle. Doch sie schweigen, um die Krisensicherheit ihres Jobs wissend, und installieren in den kommenden Tagen dort, wo die Grube klaffte, ein Steinmal mit Spruch: Basalt oder Marmorplatte, Zeichen wider das Vergessen, umsäumt von ein mal zwei Meter Buchsbaum, an denen geweint werden darf, ohne dass dafür eine Erklärung nötig ist.
    Man sollte vielleicht, denkt Marta, einen alten Friedhof in der Stadt als Ort für gelegentliche Spaziergange wählen, willkürlich ein Grab aussuchen, das man regelmäßig besucht, um eine viertel Stunde davor stehen zu bleiben, einfach so.
    Weiter hinten entsteht Bewegung: Rot und Weiß marschiert auf, fügt Schwarz mit blitzendem Silber hinzu und erweist sich bei genauerem Hinsehen als drei junge Männer in einer husarenartigen Aufmachung: geschwellte Brust unter verschnürter Jacke aus Samt, an Kragen, Ärmeln und Rücken mit weiteren golddurchwirkten Kordeln verziert. Eine breite Seidenschärpe in Schwarz-Rot-Gold schmiegt sich parallel zum bekannten Band über den Oberkörper, weiße Hosen verschwinden knieabwärts in schwarzen Ledergamaschen, Stulpenhandschuhe halten eine Art Degen, der in einem korbförmigen Handschutz endet. Auf jeder der drei glatten Stirnen sitzt ein asymmetrisch platziertes Ding, das Marta an eine hübsch dekorierte Camembert-Schachtel denken lässt; eine Fahne flattert im aufkommenden Wind.
    »Ach du Schande«, wiederholt sich Greta halblaut, »da ist man dann doch froh, dass man keinen Sohn zur Welt gebracht hat.« Der Mann neben ihr schaut sie irritiert an.

    »Wieso das ganze Schwarz-Rot-Gold?«, flüstert Marta in Gretas Ohr.
    »Die haben das quasi erfunden.«
    »Was?«
    »Irgendwie waren sie die Ersten.«
    »Aha.«
    Die drei Husarenartigen nehmen in einer Reihe quer zur Grube Haltung an. »Schläger frei!«, kommandiert es überraschend leise; die Waffen werden gezogen und am ausgestreckten rechten Arm in die Luft gehalten. Marta traut ihren Augen nicht. Die Fahne senkt sich in das offene Grab, verharrt dort einen Moment und hebt sich wieder. »Schläger an den Ort!« Das nächste Kommando geht im elefantösen Schnäuzen Erikas unter. Marta vermutet, dass es »Abmarsch!« hieß, jedenfalls entfernen sich die Uniformierten wieder und reihen sich, so dezent es ihnen möglich ist, im Hintergrund in die Trauergemeinde ein.
    »Was ist das für eine Aufmachung?«, raunt Marta Greta zu.
    »Gab es auch bei unserer Hochzeit: Schläger gestreckt und das glückliche Paar drunter durch.« Greta sieht nicht aus, als mache sie Witze. »Erinnerst du dich etwa

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