An Paris hat niemand gedacht
»Katharina, beruhige dich.« Kati schüttelt sich mit einer unwilligen Bewegung und schaut Sophia herausfordernd an.
»Ich habe ihn eben«, sagt Sophia und öffnet, ohne eine weitere Bemerkung abzuwarten, ihre Autotür. »Kommt ihr mit?« Sie schaut Marta an.
Marta grinst. »Es ist tatsächlich dein Ernst.«
»Ich weiß nicht, ob ich das kann«, flüstert Greta.
»Ihr seid doch total verrückt«, murmelt Kati und sieht sich ängstlich nach einer dunklen Limousine um, die gerade in die Gasse einbiegt.
Eine viertel Stunde später stehen sie in dem verwahrlosten Vorgarten, in dem sich das Unkraut über die Wege rankt und die Wicken den Sieg über die Rosenbeete davongetragen haben.
Marta hat das Haus größer in Erinnerung. Im Obergeschoss hängt ein Rollladen schief im Fenster, ein zerbrochener Blumenkübel liegt neben den Eingangsstufen, aus dem Briefkasten schaut das Ende einer zusammengerollten Zeitung hervor. Dies hier, denkt sie, könnte ein interessantes Experiment werden.
Sophia steckt den Schlüssel ins Schloss, stemmt sich gegen die Tür und stößt sie mit Schwung auf. »Voilà!«
»Ich frage mich, was das bringen soll.« Kati stürmt an ihr vorbei. Greta ist auf der ersten Stufe stehen geblieben, Sophia wartet auf der Schwelle. Marta, dicht neben ihr, überlegt, ob eine Mutprobe pro Tag nicht ausreichend ist. Greta sieht aus, als hätte sie genug für heute.
»Komm schon, Mama, da drin gibt’s keine Gespenster.« Sophia ist zwei Stufen zu Greta hinuntergestiegen und streicht ihr über die Wange.
»Da bin ich mir gar nicht so sicher«, sagt Greta, lässt aber zu, dass Sophia ihren Arm um sie legt und sie ins Innere führt. So
vertraut werden wir nie miteinander umgehen, denkt Marta und schließt hinter sich die Haustür.
Drinnen empfängt sie die abgestandene Luft eines für lange Zeit verlassenen Wohnraums. Auf den ersten Blick fühlt Marta sich angenehm fremd. Nach ihrem Weggang muss gründlich umgestaltet worden sein: andere Möbel, Tapeten, Böden, selbst die Raumaufteilung hat sich geändert. Ob Richard versucht hat, diesem Haus doch noch seine Handschrift aufzuzwingen? Wie auch immer: Dies hier erzählt im Wesentlichen von Zeiten, an denen sie keinen Anteil mehr hatte. Aber der Mann, der hier zuhause war, sein Geruch hängt noch in den Vorhängen, Gegenstände, die er täglich in der Hand hatte, liegen herum, Informationen, die er niemandem zukommen lassen wollte, sind über die Räume verteilt, womöglich finden sich Dinge, die Marta nicht finden will. Oder soll.
Ich dringe in dein Reich ein, toter alter Mann.
Sophia ist in die Küche gegangen, zieht die Rollläden hoch, öffnet die Fenster. Aus dem oberen Stockwerk ist das Schlagen einer Tür zu hören. Ein Poltern auf der Holztreppe lässt Marta und Greta gleichzeitig zusammenfahren. Als sie die Küche betreten, schaut Sophia sie lächelnd an. Wie eine Gastgeberin, die harmlosen Besuch erwartet, denkt Marta, das ist merkwürdig.
»Ich mache Kaffee. Mama, zieh doch den Mantel aus.«
Greta macht eine abwehrende Handbewegung.
»Setzt euch wenigstens.« Sophia zieht zwei der Stühle vom Küchentisch zurück und macht sich an den Schränken zu schaffen. Marta hängt ihre Jacke über die Lehne und lässt sich mit Blick auf das Fenster nieder. Eine dicke gefleckte Katze scharrt mit den Pfoten im ehemaligen Blumenbeet, dreht dem Haus das gesenkte Hinterteil zu und verrichtet mit zuckendem Schwanz ihr Geschäft.
»Wie kommt es, dass es hier so ordentlich ist?« Kati ist im Türrahmen erschienen und schaut sich in der Küche um.
»Das war ich«, sagt Sophia.
»Die ganzen Flaschen, der Müll, die dreckigen Klamotten?«
»Habe ich weggeräumt.«
»Wie kommst du dazu?«
»Er hat mich darum gebeten.«
»Dich?«
»Ich war vorletzte Woche bei ihm im Krankenhaus, das weißt du. Wir haben länger miteinander geredet, und anschließend habe ich seiner Bitte entsprechend hier übernachtet und aufgeräumt.«
Drei Augenpaare, weit aufgerissen, schnellen zu ihr und bleiben in jeweils einer anderen Nuance fragend an ihrem Gesicht hängen.
»Was starrt ihr mich so an? Ich hab’s halt gemacht, na und?« Sophia dreht sich aus den Blicken heraus und beginnt Kaffeepulver in die Kanne zu füllen. Mit jedem Löffel klirrt Silber auf Glas, ein Wunder, dass keine Scherbe aus der Kanne platzt.
Greta, noch immer im Mantel, lehnt sich bleich und müde an den Kühlschrank, zieht langsam die Sonnenbrille vom Gesicht. »Sophia, warum?«
Marta hält den Atem
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