Analog 04
weg. Callahan, gib mir einen Whiskey!“
„Tommy“, sagte Callahan sanft, „unterhalten wir uns erst ein bißchen, nehmen einen Kaffee, und dann saufen wir einen. Okay?“
Tommy stellte sich mühsam auf die Füße und hielt sich an der Bar fest. „Versuche ja nie, einen Junkie aufs Kreuz zu legen! Du meinst, ich habe schon genug getrunken, aber da täuschst du dich gewaltig. Jetzt gib mir den Scheißwhiskey, oder ich komme rüber und hole ihn mir.“
„Nur ruhig bleiben, Kumpel.“
Ich versuchte, einen Arm um Tommy zu legen. „He, hör mal …“
Er schob mich weg. „Komm von deinem hohen Roß herunter, Jake! Du hast dir doch zwei Abende hintereinander die Rübe vollgeknallt, warum soll ich es dann nicht auch können?“
„Ich schenke dir so lange ein, wie du bestellen kannst“, sagte Callahan. „Du bist aber jetzt schon hart an der Grenze. Warum machst du dir nicht erst Luft? Darum geht es doch beim Trinken. Man macht seinem Herzen Luft und erzählt, bevor man umfällt.“
„Laßt mich mit eurem Geschwätz in Ruhe“, rief Tommy. „Warum, zum Teufel, bin ich überhaupt hergekommen? Saufen kann ich auch zu Hause.“ Er torkelte in der ungefähren Richtung der Tür los.
„Tommy“, rief ich, „warte doch …“
„Nein“, brüllte er. „Verdammt noch mal, laßt mich alle in Ruhe! Hört ihr mich? Ich will allein sein. Ich … ich kann noch nicht darüber reden. Laßt mich in Ruhe!“ Und weg war er und knallte die Tür hinter sich zu.
„Mike?“ fragte ich.
„Hmmm.“ Callahan schien sich nicht recht schlüssig zu sein. „Also, ich meine, man kann einem Mann nicht helfen, der sich nicht helfen lassen will. Laß ihn gehen. Morgen ist er wieder da.“ Er wischte die Bar mit einem besorgten Gesicht ab.
„Du meinst nicht, er …“
„Geht hin und setzt sich einen Schuß? Das glaube ich nicht. Tommy haßt das Dreckzeug inzwischen. Ich fürchte nur, er geht vielleicht zu Rickys Dealer und versucht ihn umzubringen.“
„Eine ausgezeichnete Idee, meiner Ansicht nach“, murmelte Longdrink.
„Er ist aber zu betrunken. Der bringt doch nichts mehr. Viel wahrscheinlicher erwischt es ihn. Oder er stellt sich dumm an und wird verhaftet.“
„Das wäre dann das zweite Mal“, sagte ich.
„Verdammt“, brach es aus Drink heraus, „ich gehe ihm nach.“
Als er aber auf dem halben Weg zur Tür war, hörten wir alle, wie draußen auf dem Parkplatz eine Autotür zuschlug. Er blieb stehen. „Alles in Ordnung“, sagte er. „Das ist mein Lieferwagen, das Geräusch würde ich überall erkennen. Tommy weiß, daß ich immer zwei Flaschen unter dem Sitz versteckt habe. Gegen Schlangenbisse. Da ist er gut aufgehoben – später gehe ich rüber zu ihm, lege ihn auf die Ladefläche und fahre ihn heim.“
„Hört sich gut an, Drink“, sagte ich. „Pjotr fällt heute aus, der ist krank, und da müssen wir für ihn einspringen.“
Callahan nickte langsam. „Also gut, das dürfte dann wohl klargehen.“ Die Gespräche in der Kneipe setzten wieder ein. Ich hatte Lust auf einen Drink, bestellte mir aber statt dessen noch mehr Kaffee, meine siebte Tasse an diesem Tag. Als er kam, trat eine jener zufälligen Gesprächspausen ein, und wir hörten alle deutlich das Geräusch von zerbrechendem Glas draußen auf dem Parkplatz. Callahan zuckte zusammen, verschüttete aber keinen Kaffee.
„Wie erklärst du dir so etwas wie Heroin, Mike? Es erwischt offenbar die ganz Dummen und die Hochbegabten. Bird, Lady Day, Tim Hardin, Janis und vielleicht noch ein Dutzend, die wir beide kennen – und eine halbe Million anonyme Verlierer, die tot in Seitenstraßen, öffentlichen Toiletten, Tankstellen und den Schlafzimmern anderer Leute liegen. Einer von einigen tausend ist dann ein Ray Charles oder ein James Taylor, die es schaffen, davon herunterzukommen und weiterarbeiten.“
„Das sagt dir einiges über die Welt, die wir aufbauen. Die sehr Dummen und die sehr Sensiblen können anscheinend darin nicht leben. Beide Arten von Menschen brauchen gefährliche Dosen von Betäubungsmitteln, nur um den Tag überstehen zu können. Ich meine, es wäre für alle Beteiligten weniger mühsam und lästig, wenn sie es sich legal besorgen könnten. Wenn dieser Ricky sterben wollte, na gut – aber er hätte nicht einen armen Tankstellenwart dazu zwingen dürfen, ihn zu erschießen.“
Von draußen kam wieder das Geräusch von zerbrechendem Glas, ebenso laut wie beim erstenmal.
„He, Drink“, sagte Callahan plötzlich,
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