Analog 06
wiederholte er wütend. Karnev zuckte die Achseln. Unser Blickwechsel hatte ihn verwirrt, und deshalb zog er sich auf sichereren Boden zurück.
„Er ist Gast des Ratsvorsitzenden. Als der Gast dieses Mannes wird er von mir begrüßt werden.“
Vekkar schnaubte ärgerlich, war aber deutlich erleichtert. Und ich nickte weise vor mich hin, voll von der Selbstgefälligkeit, die unvollkommenes Verständnis hervorbringt.
In den drei Wochen, die ich auf Kattar verbrachte, hatte sich mein Schreibautomat mit Notizen über die politische Organisation meiner neuen Heimat gefüllt. Sie sah ganz anders aus als alles, was die Akademie mich gelehrt hatte.
Auf Karnevs Welt gibt es zwei Möglichkeiten, sich Ruhm zu erwerben, und zwar durch absolute Macht und durch Fertigkeiten. Absolute Macht hat das größere Gewicht von beiden, und die Vekkars haben die Oberherrschaft, aber Fertigkeiten folgen direkt darauf. Der größte Künstler, derjenige, der auf seinem Gebiet der Perfektion am nächsten kommt, steht sozial auf der gleichen Stufe wie die Stärksten im Land.
Daraus ergibt sich ein System voller Spannungen. Die Künstler und Handwerker belauern die Politiker ständig, und umgekehrt gilt das gleiche. Für den einzelnen jedoch ist es noch schwieriger, weil er irgendwie eine Definition seiner Persönlichkeit finden muß.
Auf Kattar wird nur die größte Leistung belohnt. Alles, was diesen Standard nicht erreicht, bringt wenig oder nichts. Wenn man akzeptiert werden will, muß man Perfektion erreichen. Wer scheitert – und das müssen bis auf einen in jedem Bereich alle – bekommt bestenfalls eine dürftige Belohnung für eine lebenslange Investition, und schlimmstenfalls hat das einen tragischen Verlust von Selbstachtung zur Folge. Unter den Künstlern von Kattar ist Selbstmord nicht unbekannt.
Wenn dies der Fall ist, könnte man denken, wäre es besser, es erst gar nicht zu versuchen, statt den Preis des Verlierens zu bezahlen, aber man sollte einmal versuchen, das mit jenen durchzudiskutieren, die argwöhnisch und begehrlich die Gewinner beobachten. Selbst Vekkars Prestige verblaßte gegen das der besten Kunsthandwerker und um wie vieles mehr gegen das des unbestrittenen Meisters – er, der die kostbarsten Gegenstände einer Gesellschaft herstellte, die an das Meer gefesselt ist.
Karnev war die Hebamme der Schiffe. Wer einmal mit einem Rumpf von Karnev gesegelt hatte, konnte mit keinem anderen mehr zufrieden sein. Er hatte ein angeborenes Geschick mit seinem Breitbeil. Theorie war ihm fremd, er fühlte alle Dinge in der Totalität ihres Zusammenspiels. Die Bewegung seiner Hände über seinen Rumpfmodellen floß wie Wasser über jede Körnung. Die fertigen Schiffe, die ich sah – riesige Handelsschiffe, die mit ihren Doppelrümpfen den fernen Kontinent erreichen konnten –, zeigten in ihrer exquisiten Linienführung keinen Fehler. Es waren Rümpfe, die mit den Delphinen schwimmen konnten. Seine Hände sagten ihm das.
Nach unserem Zusammentreffen wurde es mir gestattet, Karnev bei der Arbeit zuzusehen, aber nur, weil er es erlaubte. Alle anderen, von der Dorfältesten bis zum Atollzauberer, krochen in meiner Gegenwart. Das wasserumspülte Schaukeln meines Schiffs vor ihrer Insel war der ewige Angelpunkt ihres Stolzes, eine Erinnerung daran, daß sie weder fliegen noch die Sternenfelder mit Donner zerteilen konnten, daß sie niemals meine unheimliche Macht erreichen konnten, ganz gleich, wie sehr sich unsere Haare und Augen glichen. Karnev allein sah, daß auch ich schwach war, wenn ich mich unter Überlegene mischte. Nachdem unser Kontext ausgetauscht worden war, kannte er meine Unterlegenheit, denn in seiner Kunst arbeitete er mit der Totalität der Kontexte und verstand ihren subtilen Fluß. Seine Arroganz war ehrlich und wahr, und dafür hätte ich dankbar sein müssen.
Im Übereifer meiner ersten Tage im Feld war ich das nicht.
Gegen Ende des Sommers saßen wir eines Morgens in der Sonne. Karnevs letzter Rumpf ragte hinter uns hoch auf. Mein Schreibautomat summte störend mit blinkender Aktivierungsanzeige an meinem Gürtel.
„Wie sind die Schiffe jenseits des Himmels?“ fragte Karnev. Seine ruhenden Hände zogen Kreise im Sand.
„Meines hast du gesehen“, fing ich an, aber er unterbrach mich mit einem kurzen Zucken seines Kopfes.
„Das ist ein Himmelsschiff. Die Schiffe des Meers. Du bist ein Mensch, und wo es Menschen gibt, da gibt es Meere.“
„Es gibt nicht immer Meere“, fing ich an,
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