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Analog 6

Analog 6

Titel: Analog 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. J. Alpers
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Wochen vergönnt, und als die zweite Unterrichtsstunde vorüber war, wollte Wandra sich nicht von ihm trennen. Sie wollte ihn weiter lehren, wollte seinen Verstand mit ihrem Wissen füllen, so umfangreich und so schnell sie konnte. Also hastete sie vom Podium. Sie fürchtete, daß sie ihn nicht mehr erwischen würde, daß er vorher nach Rosanerart aus dem Raum gestürzt wäre.
    Aber er eilte nicht mit seinen Kommilitonen davon, im Gegenteil, er lief Wandra entgegen, und nur seine schnellen Rosanerreflexe verhinderten, daß sie gegeneinanderprallten.
    Wandra lachte glucksend. „Zwei Wesen und ein Gedanke“, sagte sie. „Hättest du Lust, unsere Diskussion fortzusetzen?“
    Sor Lai lächelte, wie nur ein Rosaner lächeln konnte. Seine Wangen spannten sich fröhlich, und die Blütenblätter zitterten, als hätte sie eine Morgenbrise erfaßt. „Sehr gern, Mensch Furenz. Ich würde es über alle Maßen schätzen.“
    Sie erwiderte sein Lächeln. „Ich heiße Wandra, Sor Lai. Ich hasse steife Förmlichkeiten.“
    Sie mußte sich eingestehen, daß sie Sor Lai nicht nur wegen seiner überragenden Fähigkeiten mochte. Ihr gefiel der naive Optimismus, den er am Morgen an den Tag gelegt hatte, und sie hatte mit Freuden verfolgt, wie sich dieser Optimismus im Laufe der Arbeit in reifes Verständnis gewandelt hatte. Er vertraute darauf, daß trotz aller Behinderungen der Fortschritt im Universum auf lange nicht aufzuhalten war.
    Sie traten in den Tunnel.
    „Komm mit mir“, plauderte Wandra drauflos. „Wir gehen in mein …“ Sie biß sich auf die Lippen. Im Rosanischen gab es kein Wort für Haus oder Wohnung. „Wir gehen zu meinem Arbeitsplatz.“
    Sor Lai schaute sie verdutzt an. „Ist denn nicht der Vorlesungsraum dein Arbeitsplatz?“
    Sie winkte ab. „Ich habe viele Arbeitsplätze. Dies ist ein besonderer.“
    „Aha, ich glaube, ich verstehe dich.“
    Sie ergriff ihn beim Arm. „Dahinten steht ein freier E-Wagen. Wir wollen mal sehen, wer zuerst da ist.“
    Sor Lai gewann das Rennen, obwohl er unterwegs ohne Pause lachte.
     
    Zu Wandras Überraschung überlebten sie Sor Lais Fahrweise. Schließlich hielten sie bei dem kleinen Springbrunnen am Eingang von Wandras Höhle. „Wunderschön!“ rief Sor Lai aus. „Wie viele Leute haben daran gearbeitet? Wozu dient dieses Gerät?“
    Wandra schüttelte den Kopf. „Ich habe es allein gebaut. Ich bin Hobby-Bildhauerin. Sehr gut gelungen ist es nicht, fürchte ich. Und es kann nichts anderes als Wasser in die Luft spritzen. Es kommt oben aus den Fingerspitzen der Fee und sammelt sich wieder bei den grünen Felsen unter ihren Füßen.“ Sie schaltete die Pumpe ein. Ein dünner Strahl schoß hoch, verteilte sich und rieselte wieder hinab. Sor Lai beugte sich vor, um erstaunt den polierten Stein zu betasten. „Dies ist die Arbeit vieler Lebenszeiten. Herrlich!“ Er erhob sich wieder. „Was vermögen die Menschen noch in ihrer Unsterblichkeit?“
    Erschreckt geriet Wandra ins Stottern.
    „Antworte mir nicht, entschuldige.“ Er trat auf sie zu und ergriff sie am Arm. „Ich möchte jetzt unbedingt deinen Arbeitsplatz sehen.“ Gemeinsam betraten sie Wandras Höhle.
    Sor Lai deutete auf die Wände. „Diese Bilder, was stellen sie dar?“ fragte er.
    Zum ersten Mal seit Wochen schaute Wandra wieder auf die Bilder aus Karly. „Das sind Bilder von meiner …“ – wieder fand sie kein Wort für Heimat – „… Geburtswelt. Der Schiffscomputer hat sie eigens für mich angefertigt. Durch meine Infrarotbrille sehen sie genauso aus wie die Originallandschaften bei normaler Beleuchtung für uns Menschen meine ich. Also siehst du jetzt meinen Planeten praktisch so, wie ich ihn sehe.“
    „Dies sind alles Bilder von der Oberfläche?“
    Wandra nickte. „Das Klima in meiner Welt ist gemäßigter als auf Khayyam.“ Sie schaute auf die eisbedeckten Berggipfel, die sich über die Hauptstadt erhoben, und kicherte. „Aber auch nicht übertrieben gemäßigt, würde ich sagen.“
    Sor Lai betrachtete ein anderes Bild, auf dem ein Sonnenuntergang an einem rosigen Sandstrand zu sehen war. „Das dort sind doch Menschen, oder nicht? Sie sind viel zu klein!“
    Wandra folgte der Zeigerichtung seines Fingers mit ihrem Blick.
    „Das sind fast Menschen, Sor Lai – es sind meine Kinder. Bei den Menschen verläuft die Metamorphose sehr langsam. Sie werden nach und nach immer menschenähnlicher.“
    „Deine Kinder?“ Er trat ganz dicht an das Bild. „Sie lachen so nett. Bist du

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