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Anarchy in the UKR

Anarchy in the UKR

Titel: Anarchy in the UKR Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serhij Zhadan
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erster von den Freunden in eine kühle, noch unberührte Kabine zu klettern, ich habe noch den Geruch von neuer Technik, Benzin und Schmieröl in der Nase, den Geruch einer gesunden Sowjetkindheit, es fing an zu regnen und hörte bis nach Hause nicht mehr auf, die ganze Reise in ein und demselben Regen, in ein und demselben Land, wir waren daheim, Schachtjor hatte den Pokal geholt, alles bestens.
    Wenn du in eine Stadt kommst, in der du so lange nicht gewesen bist, daß man sagen könnte, du warst nie da, willst du dich an was halten, irgendwelche Zeichen und Spuren finden, aber völlig umsonst, was kann schon von damals übrig sein – nicht einmal die Kioske, deshalb wollten wir einfach nur die Zeit bis zum Morgen überstehen, dann ging die richtige Stadterkundung los, mit Wodka an den Fast-Food-Buden, Gras in den Plattensiedlungen, ein träger Sommertag, der wie üblich in tiefer, schwerer Erinnerungslosigkeit enden wird, und so bleiben anstelle normaler Reiseeindrücke nur ein paar Fetzen und Episoden und vor allem Verwunderung darüber, daß die Stadt mehrere goldene Denkmäler hat und hier in der Nähe das Kobzon-Denkmal steht oder stehen soll, am Morgen hat mich das jedenfalls sehr beschäftigt, stand das Kobzon-Denkmal hier irgendwo oder nicht, und wenn ja, wo? Und war er nun aus Gold, dieser Kobzon, oder aus Gips? Denn woran hätte ich mich sonst erinnern sollen? An die Kantine mit ihrem versifften Klo und den Wachleuten am Eingang, die gab es mit Sicherheit nirgendwo mehr; haufenweise Typen in Trainingsanzügen, die sich in der Stadt sicher und sorglos wähnten, es war eindeutig ihre Stadt, ihre Trainingsanzüge, sie hatten ein Recht auf ihre Sorglosigkeit, im Unterschied zu mir, ich konnte mir die Landschaften draußen einprägen, aber die Landschaften hatten mit der Stadt nichts mehr zu tun. In den Straßen hingen viele Wahlplakate, und am nächsten Morgen brachen wir nach Guljaj-Pole auf.
    Morgens im Bus zu fahren, in so einer Stimmung, in unbekannte Richtung, das ist undankbar, aber was soll's, Hauptsache, nicht hier bleiben, Hauptsache losfahren, was wir auch tun. Was es wohl in Guljaj-Pole gibt? Natürlich nichts Sehenswertes, keine amerikanischen Stars und Niagarafälle, Niagarafälle bestimmt nicht, da bin ich mir fast sicher, in unserem Zustand brauchen wir auch keine Wasserfälle. Hauptsache, ankommen, und dann sehen wir weiter, denn diese Jagd nach den Dämonen der glücklichen Kindheit, nach den Geistern aus den stillen Gassen der Erinnerung geht einem langsam auf den Sack, das ist so, als tauchte dich jemand mit der Visage in eine hellrote Blutlache und sagte, hier sind sie, die extra für dich hinterlassenen Spuren, für dich übriggeblieben von früher, los, wasch das ganze Blut ab, das in den Klassenzimmern und Turnhallen geflossen ist, du wolltest es, da hast du, hau jetzt bloß nicht ab; überhaupt ist die Rückkehr an Orte der Kindheit fast dasselbe wie die Rückkehr in ein Krematorium, in dem du schon einmal verbrannt wurdest.
    Und wer sind die ganzen Leute, die da mitfahren, diese Tussis in ihren sportlichen Pullovern, die Omas mit ihren Taschen, Männer mit Aktenköfferchen, Pilger, zwischendurch packt mich die Verzweiflung über meine Nutzlosigkeit, alle haben sie etwas vor, die Tussis zum Beispiel wollen in die Berufsschule, die Omas mit dem Selbstgebrannten auf den Markt, die Männer mit den Aktenköfferchen fahren den Selbstgebrannten einkaufen, und wir? In der Berufsschule wartet niemand auf uns, eigentlich wartet nirgends jemand auf uns. Und um Selbstgebrannten zu kaufen, mußt du nicht so weit fahren, den hättest du zum Beispiel auch in Donezk kaufen können oder in Charkiw, aber darum geht es ja nicht, deshalb bleibt uns nichts anderes übrig, als einfach in der letzten Reihe dieses klapprigen LAS-Busses zu sitzen und zu beobachten, wie Sonne auf Regen folgt, der Mittag auf den Morgen, das Gebiet Zaporizhzhja auf das Gebiet Donezk.
    Der Bahnhof sah aus, als hätte ihn der Schlag getroffen. Aus der Tür kam ein regennasser Hund gelaufen, der innehielt, als er uns sah. Ich war mir nicht sicher, ob ich wirklich hierher wollte. Es blieb mindestens noch ein halber Tag, um die Stadt kennen zu lernen. Auf dem Asphalt trockneten die Pfützen. Das Leben verharrte reglos, genauso wie der Hund.
     
7. Ein Hotelzimmer für $2,99.
    Der dritte Tag im Hotel, wir hängen rum, kiffen, draußen hört man eine fröhliche Männerstimme, hier hört man überhaupt alles, daß weiter keine Gäste da

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