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Anarchy in the UKR

Anarchy in the UKR

Titel: Anarchy in the UKR Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serhij Zhadan
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mit der Aufschrift »Kasse« ein und soff weiter. Manchmal vergaß er die Karussells, und die Kinder kreisten stundenlang auf ihren bunten Elefanten – bis zur Hysterie und Übelkeit, das heißt, nicht bis den Kindern schlecht wurde, sondern im Gegenteil, bis ihm übel wurde, dann kam er aus seiner Bude gerannt und sah sich diesen ganzen Zirkus rundherum an, wovon ihm noch übler wurde. Mich ließ er immer kostenlos fahren.
    Manchmal frage ich mich, ob es heute noch jemanden gibt, der den Kindern ihre Karussells in Gang setzt, ob sie ihren kleinen Heiligen haben, der mit einer unsicheren, verkaterten Bewegung die Karussells und Fahrgeschäfte ihrer Kindheit bedient, mit Sonnen jongliert und mit Regenbogen schleudert, einen Haufen Klimperkram aus seinen Taschen schüttet, darunter Sterne und Meteoriten; welche Zeichen bemerken sie um sich herum, mit welchen Buchstaben lernen sie lesen; ob sie später ihren Kindern und Enkeln erzählen können, wie an ihrem ungestörten Himmel, über ihren Köpfen die majestätischen und verlöschenden Funken der Geschichte zu sehen waren? Diese Geschichte war fern und unerreichbar und von blutig-roter Färbung – wie Tulpen, Blut und Coca-Cola.
1984 Garage.
    Mein Alter hatte seine eigenen Erziehungsmethoden. In der Regel schlug er mir nichts ab, ich bekam alles, worum ich bat, aber wenn er den Eindruck hatte, daß ich zu weit ging, stellte er sich stur, da war es aus, jedes weitere Wort umsonst. Er war ständig auf Tour – neue Autos überführen oder die umliegenden Kfz-Werkstätten nach verschiedenen Ersatzteilen abklappern, ich fand das geil, immer mal wieder hängte ich mich an ihn und nervte ihn, er gab nach und nahm mich mit. Meine ganze Kindheit kurvte ich mit meinem Alten durch die Gegend, war es weit, schlief ich auf dem Rücksitz ein, bekam ich Hunger, hielt er an irgendeiner Raststätte und holte mir eine Portion strenge Fernfahrerkost. Ich erinnere mich noch jetzt an diese Kantinen, vor denen meistens ein paar Lieferwagen standen, daneben ein schrottreifer Lada, irgendwo am Horizont tauchte ein schwarzes Motorrad auf, aber hauptsächlich drängten sich hier Fernfahrer, die über die sommerlichen Schnellstraßen ins Ungewisse jagten, und nur die kurzen Pausen in den Einrichtungen der Gemeinschaftsverpflegung unterbrachen für kurze Zeit ihre monotone Fahrt auf den innerukrainischen und sowjetischen Trassen. In einer Gruppe erkannte man den Fernfahrer sofort, sein Blick war ernst und langsam, der Blick eines Steppentiers, das immer nach irgendwas Ausschau hält, die Fernfahrer hatten sich die Geographie im direkten Kontakt angeeignet, sie fuhren, wohin sie der Auftrag führte, sie erkundeten den Weg, ich habe sie nie gemocht, für mich war es okay, daß mein Alter Autos überführte und als Fernfahrer arbeitete, aber die anderen Fahrer mochte ich alle überhaupt nicht, ich dachte damals und denke es heute noch, daß mein Alter die einzige positive Ausnahme darstellt unter diesem beknackten Publikum, den Fahrern. Mich schätzen die Fahrer übrigens auch nicht. Wie oft die mich schon aus dem Autobus oder Trolleybus geschmissen haben, ich hatte zwar wirklich keine Fahrkarte oder war unzurechnungsfähig oder randalierte, aber das ändert für mich nichts. Rausgeschmissen wurde ich allerdings erst in dem anderen, späteren Leben, damals, in meinen Achtzigern, gab mir mein Vater sozusagen die Gaben der Natur zu essen und sauren Kompott zu trinken, dann kehrten wir zu unserem Auto zurück. Es war sonnig und windig, auf der Straße waren PKWs nach Rußland unterwegs, vereinzelt tauchten Radfahrer auf, sie fuhren langsam und konnten die kleine Rotznase auf Reisen beobachten, die an der Kantinenmauer stand und pinkelte, also mich, wie unschwer zu erraten ist. Wir fuhren weiter und kamen zu einer Autowerkstatt, hier begann der ödeste Teil – der Alte verschwand mit irgendwelchen Lieferscheinen auf grauem Papier im Büro, und ich blieb allein unter dem blauen Himmel, an Garagenmauern aus Schlackestein, neben dem Pförtnerhäuschen, hinter dem sich ein weiterer strategischer Punkt von volkswirtschaftlicher Bedeutung befand.
    Ich stieg aus und ging auf den großen Schrottplatz, der gleich hinter den Garagen begann. Das war ein richtiger Autofriedhof – die mit dem Schneidbrenner zersägten Karossen waren mit dichtem Gras überwuchert, irgendwo lagen Sitze herum, die wie Zähne mitsamt der Wurzel herausgerissen worden waren; durch löchrig gewordene Reifen drang Regenwasser ein, und

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