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Anarchy in the UKR

Anarchy in the UKR

Titel: Anarchy in the UKR Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serhij Zhadan
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hätte passieren können, ob ich dann überlebt hätte? Merkwürdig, aber woran denkt man sonst, wenn man Unfallautos sieht? Das ist überhaupt ein eigenartiger Anblick, irgendwo klebt immer Blut; die Verletzten, sie bekommen so eine besondere Härte und Abgestumpftheit, etwas, was überhaupt nicht zur Kindheit paßt, deshalb hat keiner auf unseren Fahrten auch nur mit einer Silbe daran gedacht, daß jemand unser Auto oder überhaupt irgendeins von den Autos auf unserer Fernstraße nehmen und zu Schrott fahren könnte, es sei denn, es sollte abgeschrieben und dann auf den großen Autofriedhof geschleppt werden. Unfallautos sehen überhaupt merkwürdig aus, ich spreche nicht von den Menschen, von ihnen will ich nicht sprechen, und die Autos, sie werden nicht begraben und auch nicht verbrannt, die werden einfach auf eine Halde geschleppt und Wolfsmilch und wildem Knoblauch überlassen, und da bleiben sie, nachdem sie ihren eigenen Tod überlebt haben; woran erinnern sie? an etwas Bitteres und Unpassendes, zum Beispiel an Äpfel, große, überreife Äpfel, die auf einem harten Boden aufschlagen und auseinanderbrechen, so daß sie niemand mehr aufliest; oder an Coladosen, die in Berliner oder Budapester Imbißbuden oder irgendwo anders verkauft werden, wo jemand für die ununterbrochene Colazufuhr und das hundertprozentige Recycling der Verpackungsmaterialien sorgt, oder an Seiten aus Gottes Notizbuch, die er, ohne sie zu Ende zu schreiben, irgendwann endgültig verwirft und entnervt herausreißt, zusammenknüllt und in den Mülleimer schmeißt.
1985 Krankenhaus.
    In meinen Achtzigern gab es kaum Ärzte. Sie wurden nicht gebraucht, die Erwachsenen hatten in meinen Achtzigern keine Zeit, krank zu sein, das Leben war so ausgefüllt und dicht, alles war so miteinander verflochten und abgestimmt, daß ein Arztbesuch darin einfach nicht vorkam. Wenn jemand starb, dann tat er das schnell und unaufdringlich. Ich erinnere mich noch an einige Begräbnisse in meiner Kindheit, ich kann nicht sagen, daß sie besonders traurig gewesen wären. Das Tragische der Begräbnisse in meinen Achtzigern hielt sich in Grenzen, es war unaufgeregt, nicht exaltiert, niemand kam auf die Idee, sich die Haare auszureißen oder dem Verstorbenen ins Grab hinterher zu springen, natürlich haben manche geweint, andere gingen mit gesenktem Kopf hinter dem Sarg her, aber unsere Erde war warm und die Erinnerung leicht und beständig, unsere Verstorbenen sollten sanft und friedlich ruhen. Die Totengedenkfeiern habe ich eher als etwas Optimistisches in Erinnerung, bis heute assoziiere ich sie mit dem erregenden Geruch einer Menschenmenge, mit Stimmen in der Küche, mit Fett, das über die Teller der Gäste läuft, mit Staatswodka und hausgemachten Likören, mit strengen, selbstbewußten Männern und ihren jungen Frauen, die immer alles aufs beste vorbereiteten, damit der Verstorbene sich nicht für eine trostlose Feier zu schämen brauchte. Ärzte waren hier überflüssig. Alle Ereignisse in meiner Kindheit, ob Trauerfall oder Jubiläum, sind für mich in erster Linie Tische, riesige, unglaubliche Tische, vollgestellt mit Speisen und Getränken, Tische, von denen man tagelang nicht aufstand, meine ganzen Achtziger sind ein einziges Tafeln, für das es jeden Tag einen Anlaß gab – wenn nicht eine Totenfeier, dann eine Hochzeit, wenn nicht Erntedank, dann Tag der Verfassung, ein gleichförmiges, unbekümmertes Leben, Probleme rein praktischer Art, du kennst deinen Platz unter dem Himmel, hältst dich gut und sicher an ihm fest, niemand zieht dir den Boden unter den Füßen weg, niemand reißt dir den Schnapskrug aus der Hand, das Leben ist lang und der Tod sanft, und niemand versucht dir das Gegenteil zu beweisen. Alle hatten wichtige Aufgaben zu erledigen, aus der Perspektive eines Acht- oder Neunjährigen kam mir das Leben wie eine extrem genau und absolut durchschaubar projektierte Konstruktion vor, alles war auf mich zugeschnitten, auf mein Hineinwachsen ins Leben und auf meine Lust an ihm.
    Meine Eltern waren mit dem Hausarzt und seiner Familie befreundet, er war ein älterer Herr, ehrbar und ernst, bei ihm zu Hause stand ein Klavier, und er konnte es sich erlauben, meine Eltern mit gutmütiger Herablassung zu behandeln, dafür verzieh er ihnen kleine menschliche Schwächen wie etwa das Fehlen eines Klaviers bei uns zu Hause. Meine Eltern nahmen mich oft mit, wenn sie ihn besuchten, sie betraten den Hof, wo ein großer Tisch unter Bäumen stand, an

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