Anarchy in the UKR
schmerzhaften und süßen Kollektivliebe einen sterilen Kollektivsport zu wählen, in unserem konkreten Fall Volleyball, klar ist das einfacher; anstatt mit seiner sechzehnjährigen Freundin zu schlafen, ihr die Pille zu kaufen und ihr morgens die Haare zu waschen, ist es viel einfacher, einen Studienplatz ohne Aufnahmeprüfungen abzugreifen, das mit Volleyball zu verbinden, sich in einen durchschnittlichen Vertreter der faschistischen bürgerlichen Gesellschaft zu verwandeln und sich das ganze restliche Leben über die Hochglanzmagazine aufzuregen, das ist einfacher, na klar, die meisten machen es so, genau dieses Verhalten gilt aus irgendwelchen Gründen immer noch als normal, sie macht es doch auch so – erst kriegt sie sich nicht ein mit ihrem Geheule, dann macht sie ihre Aufnahmeprüfungen, bekommt einen Studienplatz, heiratet, arbeitet im Büro, bringt ihre Kinder zur Welt, ohne die geringsten Zweifel hegen zu müssen, von wem sie sind, obwohl sie sich solche Zweifel wünschen würde, aber zu ihrem großen Bedauern gibt es sie nicht.
Der einzige, der aus dieser Situation mit Würde und Anstand herauskommen könnte, ist der Typ in der Küche, der Lou Reed gehört hat. Ihn verstehe ich, ich hätte an seiner Stelle auch Lou Reed gehört, Lou Reed, der alte Schwuli, erzählt wirklich wie kein anderer, wie hoffnungslos unsere Verhältnisse sein können, erklärt, wie du überleben kannst, ohne zu verzweifeln, daß du deine Freunde verlierst, wenn sie deinen alltäglichen Drive, das Tempo nicht aushalten, das du vorgibst, an dem Niveau deiner Abgeschiedenheit und Asozialität scheitern, sie springen unterwegs vom Trittbrett des Zuges, den du zuvor lange und hartnäckig beschleunigt hast. Ihn, diesen Typen, der vor Ausweglosigkeit Milchkaffee getrunken hat, kann man verstehen – am schlimmsten ist, wenn der Mensch, den du für deinen Bruder im Geiste und im Unverstand gehalten hast, sich als Schlappschwanz erweist, dem Druck der normalen Erwachsenenwelt nicht standhält, sich ihr unterordnet; und anstatt jede Nacht mit dir zusammen nett eure gemeinsame Freundin zu ficken, sitzt er in der von Teenagerschweiß geschwängerten Umkleidekabine und hört dem debilen Gesabber der Gleichaltrigen zu, die absolut nichts wissen über die dunklen und interessanten Seiten des Lebens, über die amoralische, kraftraubende Teenagerliebe, für die er sich so schämt und die er so krampfhaft loszuwerden versucht; und wenn er sie los ist, sitzt er lange in seinem leeren Zimmer und bemerkt nicht einmal, daß zusammen mit der Unmoral seine Fähigkeit, anderen zu vertrauen, verschwunden ist, daß das System seine Muskeln und Lungen gekonnt und berechnend ausgenutzt hat, daß das Leben um so attraktiver wirkt, je mehr du es dir anpaßt, daß alle Klassenkameraden ihn längst sitzen gelassen haben, allein in der Umkleidekabine, daß die Meisterschaft, die ihm so wichtig vorkam, längst zu Ende ist und er doch nicht Meister geworden ist und es auch niemals werden wird.
7. George Harrison. Hear me Lord.
Mein Dialog mit dem Buddhismus riß zeitgleich mit der Niederlage der ukrainischen Revolution 2001 ab. Das sind Dinge, die zugegebenermaßen nichts miteinander zu tun haben, eine Große Buddhistische Oktoberrevolution ist für mich völlig unvorstellbar, es ergab sich einfach zufällig, daß in derselben Zeit, als die dürftigen und spärlichen revolutionären Massen sich das volksfeindliche Regime vorzuknöpfen gedachten, irgendwo in der Nähe, ganz zufällig, das wiederhole ich noch einmal, sporadisch Buddhisten auftauchten, und diese Ereignisse sind mir eben mit einer stark buddhistischen Färbung im Gedächtnis geblieben. Es ergab sich, daß ich im Jahr 2000 die buddhistische Gemeinde von Charkiw kennenlernte. Wir veranstalteten ein Anti-Kriegs-Konzert, damals hatte gerade der zweite Tschetschenien-Krieg begonnen, und da tauchten Mitglieder der buddhistischen Gemeinde auf. Sie kamen als orangerote Pioniergruppe, hielten sich eng beieinander, jeder versuchte, keine Lücke entstehen zu lassen. Wie eine richtige Pioniergruppe hatten sie Trommeln, die sie mit langen Holzstöcken schlugen, dabei Lärm und Chaos verursachten und auf ihrem Weg das mißtrauische Charkiwer Publikum verschreckten. Als die Buddhisten von unserem Konzert erfuhren, beschlossen sie, uns zu unterstützen, sie sagten, sie seien auch gegen den Krieg, boten ihre Hilfe an und zeigten ein Foto von ihrem Guru, der irgendwo in Tibet wohnte, aber ab und zu durch die Welt
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