Anastasija 04 - Tod und ein bisschen Liebe
nachging. Sie fuhr ständig mit ihren Eltern oder mit Reisegruppen ins Ausland und tat nur so, als würde sie die Geschichte der Filmkunst studieren. Tamila, die in ihrem Leben keinen einzigen Tag gearbeitet hatte, hielt den Lebensstil ihrer Tochter für völlig angemessen, man mußte nur einen passenden Ehemann für sie finden, der so ein Dasein auch weiterhin ermöglichen konnte.
Katja war überrascht, als sie ihre Freundin erblickte.
»Elja! Ist irgend etwas passiert?«
»Nein, nichts. Ich möchte nur ein bißchen mit dir reden.«
»Am Vorabend deiner Hochzeit?« fragte Katja ungläubig. »Hast du nichts Besseres zu tun?«
»Wenn ich störe, dann gehe ich wieder«, brauste Elja auf. »Du brauchst es nur zu sagen.«
»Aber nicht doch, komm herein«, beruhigte sie Katja. »Ich wundere mich nur. Gewöhnlich haben Bräute an so einem Tag anderes im Kopf. Es gibt schließlich viel zu tun am Vorabend einer Hochzeit. Und wenn alles erledigt ist, sitzen sie gewöhnlich mit ihrem Bräutigam in einer stillen, dunklen Ecke und träumen davon, daß sie am nächsten Tag wieder genau dasselbe tun werden, nur endlich ganz legal.«
»Ich weiß nicht, wie Bräute sich normalerweise verhalten«, erwiderte Elja giftig. »Du bist meine einzige Freundin, und du hast bis jetzt noch nicht geheiratet.«
»Aber fast die Hälfte meiner Kommilitoninnen hat im Lauf der letzten drei Jahre geheiratet«, lachte die Freundin, »also habe ich schon viele Bräute gesehen. Willst du Tee?«
»Ich würde ganz gern etwas essen«, gestand Elja verlegen.
Katja sah ihre Freundin aufmerksam an.
»Elena, hör auf, Theater zu spielen. Du kommst doch von zu Hause, dein Make-up ist ganz frisch, und du trägst Hausschuhe.«
»Na und?«
»Warum bist du dann hungrig? Gibt dir deine Mutter nichts zu essen? Oder hast du dich wieder mit ihr gestritten und bist deshalb in Hausschuhen aus der Wohnung gelaufen?«
Eljas Lippen begannen zu beben, und eine Sekunde später schluchzte sie bereits wieder, diesmal an der Schulter ihrer Freundin.
»Warum kann meine Mutter ihn nicht leiden? Was hat er ihr getan?«
»Elja, Liebe, sag mir um Himmels willen, warum deine Mutter ihn leiden können muß. Du mußt deinen Valerij leiden können, und das tust du schließlich. Verlange nicht von deiner Mutter, daß sie deinen Geschmack teilt.«
Katja streichelte den Kopf ihrer Freundin und dachte betrübt daran, daß ihre Gedankengänge wahrscheinlich zu kompliziert waren für die liebenswerte, gutherzige, ziemlich beschränkte Elena. Immer wieder stellte sie sich die schmerzliche Frage, was der vielversprechende zukünftige Gelehrte Valerij Turbin an diesem dümmlichen Mädchen finden konnte. Er war Aspirant am Lehrstuhl für Philosophie und leitete ein Seminar, das Katja besuchte. Turbin war die begabte Katja sofort in der Masse der anderen Studenten aufgefallen, sie allein verstand die Sprache, die er von Professoren und Dozenten gewohnt war und die er selbst sprach. Das gegenseitige Interesse war schon bald durch gegenseitige Sympathie gefestigt worden, eine Sympathie, die nahtlos in Verliebtheit übergegangen war, und wer weiß, wie sich alles entwickelt hätte, wäre Elena nicht auf die Idee gekommen, ihre Freundin zur Uni zu begleiten, um sie moralisch zu unterstützen, während sie ihre Prüfung in Sozialpsychologie ablegte. Katja hatte im Auditorium mit den Prüfungsfragen gekämpft, derweil Elja draußen auf dem Korridor in Gesellschaft eines jungen Aspiranten, der zufällig vorbeigekommen war, auf ihre Freundin gewartet hatte. Als Katja nach der Prüfung auf den Korridor herausgetreten war, hatte ihr ein einziger Blick genügt, um zu verstehen, was geschehen war. Elja und Turbin hatten sich Katjas Blässe durch die Aufregung und Nervosität erklärt, die sie hinter sich hatte.
Katja hatte sich schnell mit dem Lauf der Dinge versöhnt, sie war keine Kämpfernatur und hatte ihren Platz neben Turbin widerstandslos der Freundin überlassen. Die Wunde war noch nicht verheilt, aber Katja studierte nicht zufällig Philosophie, Soziologie und Psychologie. Sie verfolgte zielstrebig ihre Interessen und hatte sich Studienfächer gewählt, die ihren Neigungen entsprachen. Es gelang ihr, die Liebe zu Valerij Turbin und ihre Freundschaft mit Elja Bartosch, ihrer Nachbarin und Freundin seit Kinderzeiten, innerlich voneinander zu trennen. Im Innersten bedauerte sie Elja sogar ein wenig: Sie hatte keine Freunde, keine Interessen, keine Aufgabe. In so einem Leben wurde die
Weitere Kostenlose Bücher