Anastasija 04 - Tod und ein bisschen Liebe
ERSTES KAPITEL
Der Arbeitstag neigte sich unaufhaltsam seinem Ende zu, aber Anastasija Kamenskaja gelang es einfach nicht, ihren Schreibtisch in Ordnung zu bringen, den Wust ihrer Papiere und Unterlagen zu ordnen. Das war jedoch dringend notwendig, denn der heutige Freitag war ihr letzter Arbeitstag vor dem Urlaubsbeginn. Und überhaupt war es der letzte Tag ihres Lebens als ledige Frau. Morgen würde Nastja Kamenskaja heiraten.
Seitdem sie und Alexej Tschistjakow vor drei Monaten das Aufgebot bestellt hatten, nahmen die Witze und Anspielungen kein Ende. Alle wußten, daß Nastja schon fast fünfunddreißig war, daß sie Tschistjakow bereits seit der neunten Klasse kannte und seit Ewigkeiten mit ihm zusammen war. Aber sie hatte nie an eine Ehe gedacht, an die Gründung einer Familie. Ihr unerwarteter Entschluß löste bei Kollegen und Bekannten großes Erstaunen aus, und man stellte ihr ständig Fragen, eine anzüglicher und taktloser als die andere. Die einen musterten mißtrauisch Nastjas schmale, hagere Gestalt, um Anzeichen für eine Schwangerschaft zu entdecken, andere glaubten zu wissen, daß Tschistjakow einen Ruf an die Universität von Stanford erhalten und nur die Aussicht auf ein ruhiges, angenehmes Leben als Professorengattin im Ausland Anastasija zu diesem unerwarteten Schritt bewogen hatte. Dritte wiederum, die mit halbem Ohr etwas von den gefährlichen Situationen gehört hatten, in die Nastja als Kripobeamtin immer wieder geriet, neigten zu der originellen Annahme, daß sie einfach Angst bekommen hatte, allein zu leben, und deshalb Schutz im Hafen der Ehe suchte.
Aber welche Vermutungen Nastjas Bekannte im Zusammenhang mit ihrer bevorstehenden Heirat auch anstellten, nach außen hin verhielten sie sich alle gleich. Sie zogen Nastja zwar auf, verbargen aber keineswegs ihr Wohlwollen angesichts ihres Entschlusses. Es war schließlich längst an der Zeit, zur Vernunft zu kommen und zu werden wie alle.
Heute, am Vortag ihrer Hochzeit, ging es bei Nastja im Büro drunter und drüber. Es verging keine Viertelstunde, ohne daß jemand anrief oder bei Nastja im Büro auftauchte, um einen dummen Witz zu machen. Sogar der ernste, unzugängliche Igor Lesnikow, der sie zum Mittagessen eingeladen und eine höfliche Absage bekommen hatte, ließ sich zu einer spöttischen Bemerkung hinreißen:
»Klar, heute kannst du ruhig aufs Essen verzichten. Ab morgen hast du ja deinen Privatkoch zu Hause.«
Nastja war nicht gekränkt, denn sie wußte genau, worauf Igor anspielte. In allem, was jenseits ihrer Arbeit als Kriminalistin lag, war sie von geradezu pathologischer Faulheit. Sie konnte in der Tat nicht kochen, ging sehr ungern einkaufen und versuchte stets, sich so zu ernähren, daß nur ein Minimum an Abwasch anfiel. Ljoscha war dagegen nicht nur eine Koryphäe der Mathematik, sondern auch ein Meister in der Küche. Seit Nastjas Eltern ihre große Wohnung gegen zwei kleine getauscht und ihre Tochter ausquartiert hatten, kümmerte sich Ljoscha um die Gesundheit und das leibliche Wohl seiner Freundin. Wäre er nicht mindestens einmal die Woche bei ihr vorbeigekommen, um ein warmes Essen für sie zu kochen, hätte sie sich ausschließlich von belegten Broten und Unmengen an starkem Kaffee ernährt.
Mit großem Erstaunen hatte Nastja erfahren, daß die Kunde ihrer bevorstehenden Heirat nicht nur ihre Freunde erreicht hatte. Im Grunde war nichts Besonderes daran, daß die Sache sich herumgesprochen hatte, aber Nastja hätte nie geglaubt, daß das auch völlig fremde Leute interessieren könnte. Vor ein paar Wochen hatte sie in der Staatsanwaltschaft zu tun gehabt, und im Büro des Untersuchungsführers Olschanskij war sie mit einem Mann zusammengestoßen, den sie vor einigen Monaten eines Verbrechens überführt hatte und der seitdem in Untersuchungshaft saß.
»Ich habe Pech gehabt«, hatte er mit einem schiefen Lächeln gesagt. »Hätte ich es noch bis Mai geschafft, wäre ich Ihnen nicht ins Netz gegangen.«
»Wie kommen Sie darauf?« hatte sich Nastja erkundigt. »Wie hätten Sie das denn wohl machen wollen?«
»Ich hätte gar nichts gemacht. Sie wären verheiratet gewesen.«
»Na und? Was wäre dann anders gewesen?«
»Alles. Sie hätten Besseres zu tun gehabt, als mich ins Kittchen zu bringen. Nur alte Jungfern haben den Instinkt einer Bulldogge, weil sie alle Männer hassen. Aber verheiratete Frauen haben anderes im Kopf, sie sind keine vollwertigen Arbeitskräfte mehr, sondern sitzen nur noch ihre Zeit
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