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Anastasija 04 - Tod und ein bisschen Liebe

Anastasija 04 - Tod und ein bisschen Liebe

Titel: Anastasija 04 - Tod und ein bisschen Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Marinina
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nach. Als ein Mensch, der im Milieu der elitären Intelligenzija aufgewachsen war, fließend deutsch und ungarisch sprach, von Kindheit an an Überfluß, Liebe und Aufmerksamkeit gewöhnt war, hielt sie ihre Anziehungskraft bis heute für etwas Selbstverständliches, das von jeher da war und nur mit ihr selbst verschwinden konnte.
    Natürlich hatte sie eine ganz bestimmte Vorstellung von ihrem zukünftigen Schwiegersohn gehabt und ihn keinesfalls als bescheidenen, bebrillten Aspiranten gesehen, der bei seiner Mutter wohnte, weder Haus noch Hof besaß und keinerlei Zukunftsperspektiven hatte. Natürlich könnte Pista (Tamila betonte stets die Herkunft ihres Mannes und verwendete deshalb auch in der Öffentlichkeit seinen ungarischen Kosenamen) sich um die Karriere des Jungen kümmern, könnte ihn zu seinen Geschäften hinzuziehen und später vielleicht zu seinem Kompagnon machen, aber lohnte der Aufwand? Der Aspirant glich keinesfalls einem vielversprechenden rohen Goldklumpen, in dessen Schliff man Zeit und Energie investieren sollte. Ein ganz gewöhnlicher kleiner Dummkopf, der nicht wußte, wie man zupackte, weder Geschäftstüchtigkeit noch Gerissenheit besaß. Nachdem Tamila ihn eine Weile beobachtet hatte, war sie zu dem Schluß gekommen, daß alles an seiner ungewöhnlich starken männlichen Ausstrahlungskraft lag, der ihre dumme kleine Tochter natürlich nicht widerstehen konnte. Der Junge war derart erotisch, daß sogar der mit allen Wassern gewaschenen Tamila die Knie weich wurden. Und wenn so mächtige Triebkräfte im Spiel waren, verstärkte jedes Hindernis noch das Streben zueinander, sagte sich die Mutter weise; jeder Versuch, die Tochter von der Heirat abzuhalten, wäre sinnlos gewesen, damit hätte man nur Schaden anrichten können. Macht nichts, sagte sich Tamila zynisch, sollen sie ruhig heiraten und sich aneinander sättigen, sollen sie es treiben bis zur Ohnmacht, bis zum Ekel, danach kann man ganz unauffällig darangehen, sie wieder zu trennen und die Scheidung einzuleiten. Es mußte ihr nur gelingen, ihrer Tochter klarzumachen, daß sie sich den Unsinn von der großen Liebe aus dem Kopf schlagen mußte, von der ewigen Zusammengehörigkeit in Armut und Reichtum, in Freud und Leid, in Krankheit und Gesundheit. Elena sollte schon jetzt, am Vorabend ihrer Hochzeit, begreifen, daß das morgige Ereignis ein ganz gewöhnliches und alltägliches war und daß ihr, so Gott wollte, noch viele solche Ereignisse bevorstehen würden.
    Elja kam mit roten Augen und geschwollenem Gesicht aus ihrem Zimmer. Sie trug jetzt nicht mehr das pompöse weiße Hochzeitskleid, sondern smaragdgrüne, schillernde Leggins und eine fast knielange, graugrün gemusterte Bluse. Das dichte schwarze Haar war am Hinterkopf aufgesteckt und von einer Spange zusammengehalten, den rührend zarten Nacken freigebend, der volle, schön geformte Mund war dunkel geschminkt.
    »Ich gehe zu Katja«, verkündete sie herausfordernd, auf eine der üblichen Szenen und Streitereien mit der Mutter gefaßt. Es war bereits acht Uhr abends, eigentlich hätte sie früh zu Bett gehen sollen, um morgen gut auszusehen. Sie mußte sehr früh aufstehen, denn bereits gegen sieben würde Natascha erscheinen, um sie zu frisieren, und gegen acht wollte Galja kommen, um ihr Make-up zu machen. Um halb zehn mußten sie bereits im Auto sitzen, um zum Standesamt zu fahren. Das Amt öffnete um zehn, und Tamila hatte darauf bestanden, daß ihre Tochter als erste getraut wurde, denn sie sollte nicht mit den anderen in der Schlange anstehen.
    »Geh nur«, sagte die Mutter, gleichgültig mit den Schultern zuckend. »Du wirst, wie immer, spät ins Bett kommen und morgen aussehen wie ein marinierter Hering. Aber was geht es mich an, es ist deine Hochzeit und nicht meine.«
    Elja stürzte aus der Wohnung und schlug die Tür hinter sich zu, um nicht wieder in Tränen auszubrechen. Manchmal haßte sie ihre Mutter aus tiefster Seele. Und in letzter Zeit wiederholte sich dieses »manchmal« so oft, daß man es inzwischen getrost »fast immer« nennen konnte.
    Eljas beste Freundin Katja wohnte im Nachbarhaus. Früher waren die Mädchen zusammen zur Schule gegangen, später begannen sie gemeinsam zu studieren. Katja hatte die Aufnahmeprüfung der Universität mit Bravour bestanden, Elja mußte die Prüfung wiederholen und legte sie schließlich mit einem Viererdurchschnitt ab. Jetzt war Katja bereits im sechsten Semester, während Elja vor allem faulenzte und ihren Vergnügungen

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